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Enklaven, Ausnahmezustände und die Camps als Gegenlabore

Florian Schneider

Es ist die Nacht des 29. Septembers 2005: 215 Männer und Frauen, die bis dahin ein Dasein gefristet haben müssen, das sich am Rande des bloßen Überlebens bewegt, haben eine folgenschwere Entscheidung getroffen. Nachdem sie wochenlang notdürftigen Unterschlupf in Zelten oder niedrigem Gebüsch gefunden hatten und dort ausharrten, ohne an Geld, Nahrungsmittel oder gar Wasser zu kommen, soll es nun endlich weiter gehen.

So nahe am Ziel einer Reise voller Gefahren und Enttäuschungen scheint die Perspektive/Situation plötzlich in ihr Gegenteil verkehrt: Je länger sie still stehen, umso weiter bewegen sie sich weg vom eigentlichen Endpunkt ihres Unterfangens. Europa, oder zumindest das, was offiziell als Territorium der "Europäischen Union" bezeichnet wird, ist nurmehr wenige Meter entfernt.

Sie hatten das Problem in unzähligen nächtlichen Treffen diskutiert. Sollten sie das Risiko eingehen und in einer einzigen Nacht alle zusammen losgehen oder auf eine bessere Gelegenheit warten? Sollten sie weiter versuchen, die Grenze zu höchstens einem Dutzend zu überwinden, so dass ihre geringe Anzahl auf keinen Fall größeres Aufheben verursacht?

Die Menschen, die hier im Wald leben, haben sich in Kleingruppen mit 15 bis 20 Mitgliedern zusammengeschlossen. Die meisten von ihnen organisieren sich entlang ihrer Herkunftsländer; aber es gibt auch etliche, die sich der Gruppe eines anderen Landes anschließen. Die Gruppenmitglieder wählen Sprecher, die sich wiederum mit denen der anderen Gruppen treffen, um zu beratschlagen und weitergehende Entscheidungen zu treffen.
Die Entscheidung, die Grenze am 29. September gemeinsam zu überschreiten, wurde beinahe einstimmig getroffen, allerdings ohne das Einvernehmen der Altvorderen, die mitunter "Fathers of the Forest" genannt werden. Denen muss nämlich klar gewesen sein, was für einen Skandal eine solche Entscheidung hervorrufen würde; sie müssen die Folgen eines solchen Exodus vorhergesehen haben und vor allem, dass sich danach die Situation im Wald für alle, die zurückbleiben oder später ankommen werden, dramatisch verändern würde.

***

Die Bilder der Überwachungskameras der "Guardia Civil", der spanischen Grenzpolizei, zeigen, wie einige Dutzend Menschen mit selbstgebauten Leitern über den drei Meter hohen Zaun klettern, der auf 50 Kilometern um die spanische Enklave Ceuta gezogen ist, einen militärischen Außenposten im Äußersten Norden Marokkos.

Es ist nicht leicht, sich vorzustellen, wie schmerzhaft es für einen menschlichen Körper ist, sich durch den Stacheldraht zu winden, um dann drei Meter in die Tiefe zu springen – auf eine Strasse, die zwischen den beiden Zäunen verläuft.

Fast alle waren verletzt. Gebrochene Arme und Beine, zertrümmerte Knöchel, und auch Kopfverletzungen. Sieben Menschen verloren ihr Leben. Entweder sie überlebten nicht den freien Fall in das, was heutzutage Europa genannt wird, oder sie wurden tödlich von den Gummigeschossen der Grenzschützer getroffen.

Das Material, das die Nachrichtenagentur Reuters in den folgenden Tagen verbreitete, stellt einerseits ein Sakrileg dar in Sachen seriösen Journalismus. Es besteht aus einer gerade einmal neun Sekunden langen Sequenz von Bildern der am Zaun postierten Überwachungskameras, die im Zeitraffer beschleunigt wurden. Diese Bilder wurden über mehrere Tage in fast allen Ländern dieser Welt ausgestrahlt und stündlich wiederholt; im OFF räsoniert eine Stimme vom "Sturm auf die Festung Europa".

Andererseits handelt es sich um ein, wenn auch unfreiwilliges, Stück Medienkunst, dessen konzeptuelle Radikalität, formale Bestimmtheit und ideologische Entschlossenheit alles in den Schatten stellt, was gutgesinnte und politisch engagierte Künstler zu zahllosen Anlässen und all den einschlägigen Gelegenheiten zustande brachten, die sich seit mehr als einem Jahrzehnt in steter Regelmäßigkeit und mehr oder weniger oberflächlich mit den Thema Grenze und Migration beschäftigen.

Im Werk von Reuters wird die Grenze in ihrem beinahe perfekten postmodernen Design dargestellt: Sie wird vorgeführt als Skandal – also einen Vorfall, der zum einen weithin bekannt gemacht ist und zum anderen Vorwürfe mit sich zieht, die moralische Entrüstung auslösen sollen.
Was aber ist so skandalös an diesen Bildern? Auf den ersten Blick besteht der Skandal in dem kollektiv organisierten Versuch, die Grenze zu überwinden, der selbst verantwortet und selbst durchgeführt wird, ohne die Autoritäten, die sich dafür zuständig fühlen, in irgendeiner Art und Weise in die Entscheidungsfindung einzubeziehen.

Es ist ein Skandal im wahrsten Sinne des Wortes, das sich ableitet vom lateinischen "scandere", "Klettern". Obendrein eröffnet sich auch die etymologische Perspektive auf das alt-griechische Original: "Skandalon", Stoplerstein, oder eben die Grenze als Stein des Anstoßes.

So gesehen sind Ereignisse der Nacht vom 29. September 2005 ein Paradefall dessen, was von Theoretikern und Aktivisten der "noborder" Netzwerke seit den frühren 1990er Jahren als "Autonomie der Migration" zu bezeichnen versucht wird. Bei dieser Parole geht es darum, Migrationsbewegungen nicht auf Flucht aus Elend und Unglück zu reduzieren, sondern als wesentlich komplexere Prozesse zu begreifen, die auf der Rückeroberung des Rechts basieren, selbst zu entscheiden, wo Menschen leben wollen und wie.

Denkmuster, die Migranten pauschal zu Opfern machen, sind ebenso weit verbreitet, aber wahrscheinlich wesentlich effektiver als das allgegenwärtige Grenzüberwachungssystem. Die Strategie der Viktimisierung vereint Verfechter und viele der Widersacher eines sogenannten neoliberalen Kapitalismus in dem Ansinnen, Migration als Resultat von Kapitalbewegungen zu verstehen, als reine Nach- oder zumindest als Nebenwirkung.
"Autonomie der Migration" fordert stattdessen von aktivistischer Praxis aber auch von der Forschung, die auf diesem Feld unternommen wird, ein wenig Abstand zu nehmen von den ständig wiederkehrenden Tropen von Mitleid und Mildtätigkeit. Es ginge vielmehr darum, die Vielzahl von sozialen und politischen Prozessen wahrnehmen zu können, die praktischer Weise von Nöten sind, eine Grenze ohne den sonst üblichen Papierkram zu überqueren, und auf theoretischer Ebene die Produktion zeitgenössischer migrantischer Subjektivität konstituieren.

Bei Migration handelt es sich eben nicht um die Aktivität von isolierten, a-sozialen, ausgewiesenen Individuen. Im Gegenteil, die soziale und subjektive Dimension von Migration wird in der Autonomie und Unabhängigkeit von einer Politik deutlich, die sie zu kontrollieren versucht. Ein Herkunftsland zu verlassen, Grenzen zu überschreiten und woanders ein besseres Leben zu suchen, sind von daher eminent politische Akte, auch wenn weit verbreitete Vorurteile und die allgemeine Gesetzeslage auf dem Gegenteil zu beharren versuchen.

***

Was aber in dieser Nacht vom 29. September geschah, hat noch wesentlich größere Bedeutung. Modernste Kontrolltechnik schien nicht in der Lage zu sein, ein paar Dutzend Menschen aufzuhalten, die sich aus abgebrochenen Ästen einfache Leitern gezimmert hatten. Schließlich wurde die redundante Ansammlung von High-Tech-Gadgets vorgeführt, deren Zweck vor allem darin besteht, die technologische Überlegenheit des Grenzregimes rund um Ceuta, aber auch in vielen anderen kritischen Gegenden rund um die EU zur Schau zu stellen.

Alle paar hundert Meter steht ein Wachturm, der mit Suchscheinwerfern, Lärmsensoren, Bewegungsmeldern und Videokameras ausgestattet ist, die das Bildmaterial der permanenten Überwachung durch unterirdisch verlegte Kabel an eine zentrale Kommandostelle liefern.

Die Entscheidung der "Guardia Civil" dieses Material zu publizieren, war bewusst gewählt, hat doch die Öffentlichkeit normalerweise keinen Zugang zu den Daten. Der Skandal besteht aber nicht in der plötzlichen Veröffentlichung der Bilder vom 29. September. Er besteht vielmehr in deren Manipulation. Die gewöhnlicherweise niedrige Bildwechselfrequenz der Aufnahmen der Überwachungskameras, die sich zwischen 5 und 15 Bildern pro Sekunde befindet, ruft bei der unkorrigierten Übertragung auf die im Fernsehen üblichen 25 Bilder pro Sekunde zwangsläufig eine unnatürliche Beschleunigung der Ereignisse hervor.

Dieser Effekt ist, wenn er bewusst eingesetzt wird, als "Zeitraffer" bekannt und wird für gewöhnlich dazu benutzt, um Prozesse hervorzuheben, die zu subtil sind, als dass sie das menschliche Auge noch wahrnehmen könnte.

Im Falle der Bilder aus Ceuta ist der tiefere Sinn einer solchen Operation nur allzu offensichtlich: von den 215 Menschen, die den Zaun in dieser Nacht überquerten, sind nur ein kleiner Bruchteil in dem veröffentlichten Material festgehalten. Die nachträgliche Manipulation der Bilder transformiert nun eine bestimmte, klar umrissene Zahl von Individuen in eine unbestimmte Masse, die ausschwärmt zum "Sturm auf die Festung Europa", wie der Nachrichtensprecher orakelt.

Im Englischen wird der Zeitraffereffekt als "Undercranking" bezeichnet: die Frequenz der Bildfolge wird sinnbildlich angekurbelt. Das Resultat verkörpert dann die ganze Heuchelei des allgegenwärtigen Geredes von der "Festung Europa", das doch nur ein Ziel hat: Handlungsfähigkeit selbst denen abzusprechen, die sich ein Herz fassen und eine vermeintlich günstige Gelegenheit zu nutzen wagen.

Ironischerweise verwandelt ausgerechnet die Animation der Bilder die darauf eigentlich abgebildeten Menschen in etwas Unmenschliches: das Stakkato ihrer abgehackten Bewegungen erinnert im besten Fall an wilde Tiere; aber viel eher noch kommen Assoziationen an Insekten, die in einer imaginären Plage Europa befallen und die Außenposten seiner Festungsanlagen schon überrannt haben.

***

Dies führt zur dritten Dimension des Skandals: laut Definition ist ein Skandal üblicherweise das Produkt einer Mischung aus realen und imaginären Zutaten. Verdrängt oder vertuscht wird die Grenze zwischen Realität und Imagination, die beide ununterscheidbar werden. Vor diesem Hintergrund operiert der Skandal mithilfe der unausgesprochenen Gesetze, die zu regeln haben, was den einen erlaubt und den anderen nicht erlaubt ist.
Die realen Bewegungen der Menschen, die über den Grenzzaun klettern, erscheinen in den Nachrichtenbildern verhackstückt, sie wirken unwirklich, weil holprig und ruckartig. Um dennoch Kohärenz zu demonstrieren, müssen sie sich untrennbar vermischen mit den ebenso banalen wie unausrottbaren Vorurteilen und Gemeinplätzen zum Thema "illegale Migration".

Der Skandal ist eine Reinterpretation des Geschehens mit dem Ziel, eine moralische Entrüstung hervorzurufen, deren Resultat dann die Reaffimierung der Grenze ist. Einer Grenze, die ansonsten unsichtbar sein, in Frage gestellt oder der misstraut werden könnte.
Der Skandal macht klar, dass es die Grenze noch gibt, und dass sie immer wieder wirklich ist. Die damit einhergehende Homogenisierung von Realem und Imaginärem rückversichert uns auf begrifflicher Ebene; sie erlaubt uns ferner, die Grenze zu genießen und mit einem Regime zu kooperieren, das eigentlich auf recht brüchigem Boden und ziemlich haltlosen Tatsachen besteht. Wir dürfen uns dann sogar über seine Auswüchse Sorgen machen und seinen gewalttätigen Charakter moderat kritisieren.

Außerhalb der Kadrierung des Überwachungsbildes befindet sich das, was wir nicht sehen, aber uns umso besser vorstellen können: Moderne Homogenität auf der einen, primitive Unartikuliertheit auf der anderen Seite, die ungebrochene Verlängerung von Kolonialismus in Post-Kolonialität.
Kurz zusammengefasst heißt das also: jede der drei Dimensionen des Skandals ist durch das Bildfenster hindurch und innerhalb seiner eigenen Grenzen verwirklicht. Die Kadrierung verweist auf die notwendige Homogenisierung von realen und imaginären Elementen. Die Außengrenzen des Bildes legen nicht nur fest, was sichtbar ist und was nicht, sondern auch was gesagt werden kann und was nicht.

***

Und dennoch ist da etwas, was nachhaltig verstört. Etwas jenseits des Bildes, und in der Tat jenseits der Rahmenbedingungen der Skandalisierung, die Raum und Zeit homogenisiert. Es verweist auf ein Anderswo, das sich nicht unbedingt links oder rechts des Bildfelds befindet, sondern auf einen abstrakten Raum bezieht, der sich zunächst einmal in den Richtungen befinden könnte, aus der die Grenzgänger kommen und in die sie gehen. Nichts davon existiert in der künstlich generierten Unmittelbarkeit der Nachrichtenbilder vom 29. September 2005. Beides muss ignoriert und, wenn nötig, negiert werden in der Inszenierung der Festung Europa.

Moussa K., zum Beispiel. Er floh vor dem Bürgerkrieg in Sierra Leone im Jahr 2003, um irgendwo in Europa ein anderes Leben zu beginnen. Über Guinea, Mauretanien und die West-Sahara schafft er es bis nach Marokko, wo er zuerst versucht, spanisches Territorium in Las Palmas zu erreichen. Der Versuch scheiterte, weil er von der marokkanischen Polizei gefasst und nach Oujda an der marokkanisch-algerischen Grenze abgeschoben wurde. Zusammen mit einigen Weggefährten beschloss er, es in Ceuta erneut zu versuchen.

Nach 25 Tagen Fußmarsch durch 900 Kilometer Wüste erreichten sie im Juni 2005 Castillago, die kleine marokkanische Grenzstadt nahe der Grenze zu Ceuta. "Wir lebten wie Tiere, es war wie in Kriegsgebiet" erinnert er sich an die drei Monate, die er versteckt im Gebüsch vor der Grenze verbracht hat.
Am 28. September 2005 beschloss er, an dem gemeinsamen Versucht teilzunehmen, über den Stacheldraht des Grenzzauns zu klettern, um nach Ceuta zu kommen. Die Parole lautete: "Kein Rückzug, kein Ergeben!"

Er zimmerte sich seine eigene Leiter aus Aststücken und Zweigen und schaffte es – im Gegensatz zu dem Freund, mit dem er zusammen unterwegs gewesen war und der in dieser Nacht umkam. Ein paar Wochen später sind die Verletzungen, die Moussa K. davontrug, beinahe verheilt. Er hofft jetzt auf eine Aufenthaltserlaubnis in Spanien und will dann irgendwo in Europa Bergbau studieren.

Worum es an der Grenze wirklich geht, ist nicht das, was vielleicht nicht zu sehen, aber dennoch zu vermuten ist, weil es sich zwar im OFF aber immer noch im Bezug zum Sichtbaren setzt: Geographische Ziele, Entbehrungen, Sehnsüchte, sondern absolute Vernichtung jeglicher verbleibender Subjektivität. Jeder Mensch weiß, auch wenn er oder sie sonst nichts weiß, dass die wesentliche Funktion des Grenzregimes darin besteht, jede vormalige Erfahrung der illegalisierten Grenzgänger auszulöschen und unschädlich zu machen, ganz zu schweigen von künftigen Plänen. In dem Moment, in dem die Grenze überquert wird, werden Ingenieure zu Putzkräften, Akademiker zu Sexarbeitern, Professoren zu Gelegenheitsarbeitern in der Agrarindustrie oder privaten Haushalten – gebrauchsfertig für die Überausbeutung auf den informellen Arbeitsmärkten des späten Kapitalismus.
Weit entfernt davon, sich über mangelnde Fairness zu beklagen oder sich selbst als Opfer zu verstehen, scheint Moussa K. den Grenzübertritt als einen Prozess extremer Desubjektivierung begriffen zu haben, angesichts der über weite Strecken geradezu unmenschlichen Bedingungen. Was er beschreibt hat nicht ansatzweise mehr mit Menschlichkeit zu tun. Wenn, dann erinnert es allenfalls, was Foucault womöglich mit "negativer Freiheit" beschrieben haben würde.

Die Modalitäten jeglichen Seins wirken grundlegend verändert, und es eröffnet sich ein paradoxes Potential für eine radikale Transformation in Hinblick auf ein Selbst und eine Welt. Dieses Potential existiert weder in den Bildern noch in den Vorstellungen von der Grenze und ihrem Regime, das auf deren Skandalisierung beruht; es besteht woanders fort und harrt woanders aus, einem absoluten OFF außerhalb des Bildes.
In seinen beiden Büchern über das Kino hat Gilles Deleuze dieses absolute OFF mit dem Bergson’schen Begriff der Dauer in Verbindung gebracht. Anstatt aufeinander folgende Bewegungen in homogenem Raum zu messen, schlug er eine heterogene, nicht repräsentative Bedeutung von Zeit vor, die unumkehrbar, unwiederfindbar und unteilbar ist; ein manchmal schnellerer und manchmal langsamerer Fluss des Werdens oder der reinen Beweglichkeit.

***

In der Tat ist es nämlich sehr erstaunlich zu erleben, was passiert, wenn die Neun-Sekunden-Bild-Sequenz der im Zeitraffer animierten Grenzübertreter vom 29. September 2005 im Computer zurückgerechnet wird zu einer Bildfrequenz, die die Menschen, die damals über den Zaun geklettert sind, als Echtzeit erlebt haben mögen. Die Gespenster, die da angeblich die "Festung Europa" nieder rennen, scheinen auf einmal still zu stehen, sobald sie eine gewissermaßen realistische Geschwindigkeit zurückerlangt haben. Jedes Einzelbild ist in eine fast unerträgliche Länge gezogen.

Wegen der niedrigen Bildfrequenz der Überwachungskameras, die in diesem Fall – ursprünglich vielleicht sogar aus technischem Unverstand – zu dem Zeitraffereffekt führte, muss jeder Versuch, die Geschwindigkeit der Bilder wieder an die Wirklichkeit anzupassen, in einer auf den ersten Blick überflüssigen Aufdopplung und schier endlosen Vervielfachung der ursprünglich verfügbaren Einzelbilder resultieren, die so insgesamt zu Standbildern mutieren.

Mit einer Ausnahme allerdings: der einzige Teil des Bildes, der sich weiterhin bewegt, ist das oben rechts eingeblendete Laufwerk des Timecodes, der mit einem Mal sanft von Einzelbild zu Einzelbild wechselt, wobei er jedes Bild mit seiner Kopie ersetzt, eine gefälschte Identität misst, und jeden 25. Teil einer Sekunde so präsentiert, als wäre sie als reine Zeit erfahrbar, während der gesamte Inhalt des Bildes auf den nächsten Moment wartet, als ob dieser einer der Befreiung sein könnte.

Und dennoch kommt es zu merkwürdigen Erscheinungen, wenn die Bewegungen der Grenzüberschreiter für einen Augenblick angehalten werden, der jetzt wie unendlich wirkt. Die Blockierung des übermediatisierten Inhalts führt zu einem Kollaps der Zeit, der von der zweifachen Manipulation der Bilder herrührt: erst der Zeitraffer, der der Skandalisierung dient, und dann die Umkehrung des Zeitverlusts durch die Zeitlupe. Bei letzterem handelt es sich um die mögliche und ethisch zwar notwendige, aber ganz offensichtlich willkürliche Restaurierung der Zeit, in der das was passiert ist, auch tatsächlich passiert sein könnte - ganz als ob das noch irgendeine Rolle spielte.

Anstatt sich nun gegenseitig zu widersprechen oder aufzuheben, passiert etwas Überraschendes. Die Wiederkehr einer imaginären Echtzeit, die durch die wiederum gefälschte Zeitlupe hervorgebracht wird und in der die Zeitsprünge mit redundanten Bildern bloß aufgefüllt sind, produziert neue Blöcke von Unsichtbarkeiten: mögliche Verstecke zwischen den Bildern, die sich nicht ändern, oder unkontrollierbare Zonen zwischen den Bildern, die immer wieder dasselbe reproduzieren.

Paradoxerweise eröffnet eben der Stillstand der Bilder den Blick auf eine neue Fläche. Vielleicht als eine Allegorie zur "Autonomie der Migration", oder zumindest aber als Antizipation einer Bewegungsfreiheit, die sicherlich noch nicht Wirklichkeit ist, aber dennoch schon jetzt etwas zu erreichen imstande ist, was eigentlich als ein Ding der Unmöglichkeit gelten sollte: der präemptive Charakter der Überwachungstechnologie ist völlig vergebens.

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