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Verblasster Mythos: Grenze
Eigentlich dürfte es keinen Zweifel geben: Zur Jahrtausendgrenze hin verblaßt selbst der Mythos Grenze. Mauern und Stacheldraht, Schlagbäume und Grenzhäuschen scheinen einer untergehenden Epoche anzugehören und zu bloßer Nostalgie verkommen. Ein neues Millenium kündigt sich an, indem es nicht nur die alten Grenzziehungen, sondern offenbar auch die Idee von der Grenze an sich verwirft.
Die „Globalisierung“ schert sich bekanntlich einen Dreck um nationalstaatliche Territorien und protektionistische Blöcke. Neue Kommunikationstechnologien lassen die ganze Welt zu einem einzigen, glatten Raum verschmelzen, in dem politische Regelwerke, kulturelle Distanzen und geografische Besonderheiten in Sekundenschnelle kurzgeschlossen werden. Mit dem Abdanken der letzten und womöglich größten Grenze je, dem „eisernen Vorhang“ zwischen Ost und West, wurde der Erosionprozeß der Nationalstaaten augenfällig: Nicht nur geografisch, auch politisch waren diese von ihren Enden definiert. Der Traum von der „One world“ kennt keine Grenzen und deswegen auch keine Geschichte mehr.
Mit dem Beitritt der meisten EU-Länder zum Schengener Abkommen schließlich gehören Grenzkontrollen der Vergangenheit an. Für Zugreisende und Autofahrer sind die Binnengrenzen der bislang neun europäischen Unterzeichnerstaaten zu besseren Landkreisgrenzen rückgebaut; und wenn alles klappt, sollen in ein paar Jahren auch nach Polen, Tschechien, Ungarn und Slowenien die Schlagbäume fallen. Mehr oder weniger pünktlich zur Jahrtausendwende scheinen Wartezeiten bei der Aus- und Einreise ein ebensolcher Anachronismus zu sein wie bald Duty-Free-Shops an Flughäfen mitsamt den Zöllnern, die in dreckiger Urlaubswäsche nach Schnaps und Zigaretten wühlen.
Für Optimisten und notorische Modernisierungsgewinner ist das Verschwinden der Grenzen nicht nur eine unaufhaltsame, sondern durchaus erfreuliche Entwicklung: Neoliberale und Alt-Hippies, Techno-Eliten und Feierabend-Broker, transnationale Konzerne und organisierte Kriminalität feiern grenzenloses Amüsement, weltweite Kommunikation und ungehinderte Profitmaximierung. Diejenigen, die in diesem Prozeß ihre alten Privilegien einzubüßen drohen, verlegen sich aufs Jammern und verhelfen sich damit, alte Ressentiments neu einzukleiden: die Welt als Zerrbild geprägt von unkontrollierten Zuwanderungswellen, international operierenden Verbrecherbanden und Internetkriminalität. Polizeiexperten und andere aufmerksame Zeitgenossen goutieren Chancen und Risiken in bewährter Manier, doch der Blick auf das, was mit den Grenzen wirklich passiert, ist merkwürdig verstellt.
Das Verschwinden der Grenze ist nämlich zunächst ein ziemlich deutsches Problem. „Grenze“ ist eines der seltenen slawischen Fremdwörter im Deutschen. „Granica“ wurde im Zuge der Eroberungsfeldzüge und der römisch-katholischen Expansion nach Osteuropa im 13. Jahrhundert eingedeutscht. Bezeichnenderweise umschreibt es eher den Rand zu einem Abgrund, und nicht etwa eine Situation, der wie in „frontiere“ (vom lateinischen „frons“) die Stirn zu bieten wäre. Zur deutschen „Grenze“ gibt es kein Synonym, „border“ im Angelsächsischen kennt wenigstens „frontier“, die von Siedlern ständig erweiterte Fluchtlinie kolonialer Aneignung. Heute sprechen die Anhänger der „kalifornischen Ideologie“ rund um das Computermagazin „Wired“ folgerichtig auch von der „Electronic Frontier“ inklusive Bürgerrechten, die es gerade im elektronischen Zeitalter zu erobern und verteidigen gilt.
In Deutschland dagegen herrscht zweidimensionales Denken oder „Geopolitik“ vor. Die Spätgeburt Nationalstaat wird seit dem 19. Jahrhundert vornehmlich mit einem Organismus verglichen. Die Grenze wird als seine Außenhaut imaginiert und ist unverzichtbar zur Definition von innen und außen, Freund und Feind. In den imperialistischen Großraumplänen prä-faschistischer Ideologen wie Karl Haushofer hatte die Grenze elastisch zu sein, um den expandierenden Volkskörper zu schützen und bei seinem naturgegebenen Anwachsen vor Verletzungen und fremden Einflüßen zu bewahren. Wie virulent dieses Denken gerade heute ist, belegt der grassierende Metaphernschwulst von "Schleierfahndung", über "Asylanten-schwemme" bis hin zum "Schleusertum" - allesamt Kampfbegriffe, die dem organizistischen Modell im Wesentlichen treu bleiben: dem Phantasma vom totalisierten Volkskörper, dessen Reinheit oder, wie es heute so schön heißt: "innere Sicherheit" von Eindringlingen bedroht sei.
Solche rhetorische Kosmetik kann aber nur mühsam darüberhinwegtäuschen, daß die Grenze, die alte Haut, in die Jahre gekommen ist. Sie ist faltig und rissig geworden, aufgeschwemmt und den neuartigen Anforderungen einfach nicht mehr gewachsen. Menschen müssen heute mehrere Berufe gleichzeitig erlernen und ausüben, sie müssen mobil sein und gemäß der Konzerninteressen möglichst weltweit verfügbar sein. Die klassische Arbeitsmigration, die alternativ mit Assimilation oder Rückkehrprämie endete, gehört der Vergangenheit an: Immer mehr Staatsbürger sind darauf angewiesen, ihre Existenz zwischen mehreren Lebensmittelpunkten, nicht selten auf verschiedenen Kontinenten, zu organisieren. Das neo-imperialistische Krisenmanagment produziert schließlich nichts als sich stets verschiebende Konfliktherde, die Millionen von Menschen in die Flucht treiben. Diese endet meist nach der ersten Grenze im Nachbarstaat, manche aber schaffen es bis zum „Mutterland“ der ehemaligen Kolonialherren oder ans andere Ende der postkolonialen, globalisierten Abhängigkeitsverhältnisse.
Grenzen waren natürlich und schon von jeher ein Mythos: überdeterminiert, immer untrennbar mit Überschreitung, Überwindung und Hinter-sich-Zurücklassen verbunden. Aber Grenzen schlossen ein, was auf andere Art und Weise nicht herstellbar oder definierbar war. "Hier endet das Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland" hieß es, und klar war, daß von nun an kommen konnte, was wollte: Urlaub vom eigenen Staat, ein anderes Land mit einer anderen Währung, fremder Sprache und unterschiedlichen Gepflogenheiten.
Es ist vielleicht kein Zufall, daß die Freizügigkeitsgarantie innerhalb des bürgerlichen Nationalstaates zumindest in Deutschland zeitgleich mit dem fordistischen Akkumulationsmodell ihren Höhepunkt erreichte: straffe Arbeitsdisziplin bei gleichzeitiger Stärkung der Binnennachfrage und gewissen wohlfahrtsstaatlichen Garantien, die allesamt auch ein rigides Regime der Außengrenzen bedurften. Dieses diente klar umrissenen Zwecken: Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte, Massentourismus als kurze Erholung von der Schufterei für Auto und Eigenheim oder Asylpolitik als Waffe im Kalten Krieg.
Heute ist es mit all dem nicht mehr weit her: Schon vor der Krise der Staatsgrenzen gerieten die Einschließungsmilieus innerhalb der Gesellschaft zusehends in Bedrängnis: Schule, Militär, Universität, Fabrik, Hospital, Irrenanstalt, Gefängnis waren Stationen, die das Individuum in den "Disziplinargesellschaften" (Michel Foucault) durchlaufen konnte. Lebenslanges Lernen, Heim- und Zeitarbeit, Fitnesskult und häusliche Krankenpflege, aber vor allem neue Bestrafungsformen wie Arbeitsverbot, Platzverweis, Ausgangssperre, Residenzpflicht und elektronisches Halsband deuten nun in eine andere Richtung. Es handelt sich um "Formen permanenter Kontrolle in offenen Milieus, daß uns die härtesten Internierungen zu einer freundlichen und rosigen Vergangenheit zu gehören scheinen" (Gilles Deleuze).
Was sich abzeichnet, ist, daß immer mehr Menschen, anstatt einfach physisch ein- oder ausgesperrt zu sein, dynamischen und recht differenzierten Restriktionen hinsichtlich ihres Verhaltens und Aufenthaltsortes unterworfen sind. Aussiedlern, Flüchtlingen, Migrantenkindern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, ehemaligen oder potentiellen Häftlingen werden heute schon territoriale Beschränkungen und Schikanen auferlegt, deren Überwachung unablässige und praktisch überall mögliche Kontrollen erfordert. Asylbewerber dürfen gar den Landkreis, in dem sie untergebracht werden, ohne Genehmigung grundsätzlich nicht verlassen. Sie dürfen nicht arbeiten und viele von ihnen werden seit 1. September pauschal vom Anspruch auf Sozialleistungen ausgeschlossen.
Am Beispiel des Asyls läßt sich die Krise der Einschließung wahrscheinlich auch am eindrucksvollsten umreißen. Das Asyl einst „Ort, an den sich die Recht- und Heimatlosen flüchteten“ (Joseph Vogl), wurde im 19. Jahrhundert zur Metapher für Einsperrung und Isolierung. Die faktische Abschaffung des deutschen Asylrechts vor fünf Jahren wurde mithilfe der "Flughafenregelung", die exterritoriale Gebiete mitten im Land konstruiert, und der "Drittstaatenregelung" vollzogen, die anstelle der politischen Motive den Fluchtweg zum Kriterium der Asylverweigerung macht. In grenzüberschreitender Logik ist Deutschland ausschließlich von sicheren Drittstaaten umgeben, die sich ihrerseits solcher Winkelzüge bedienen. Flüchtlinge müssen die Frage, wann sie welche Grenze überschritten haben, also so gut wie möglich verwischen. Die Einreise ist praktisch nurmehr auf klandestinem Wege möglich, und Asylsuchende sind in den meisten Phasen ihrer nicht enden wollenden Flucht "Illegale", bedroht von Denunziation, Entdeckung und Ausweisung.
Das Schengener Abkommen, einst gepriesen als Aufbruch in ein neues Zeitalter mit immer weniger Grenzen, fungiert in der Wirklichkeit als Wegbereiter eines neuen Kontroll- und Überwachungsapparates, der wesentlich flexibler ist als das herkömmliche Grenzregime. Die alte Staatsgrenze, die eigentlich abgeschafft werden sollte, verschwindet nicht einfach: Die Grenze faltet und vervielfacht sich, verschiebt sich nach vorne und nach hinten, in Dritt- und Viertländer, sowie ins Landesinnere. Verdachtsunabhängige Kontrollen werden seit dem Inkrafttreten des neuen Bundesgrenzschutzgesetzes Anfang September nicht nur in der 30-Kilometerzone hinter der eigentlichen Grenzlinien, sondern auf allen Bahnhöfen, Flughäfen, Zügen und selbst S-Bahnen praktiziert. Überregionale Verkehrswege, selbst Nebenstraßen und Innenstädte haben die Polizeigesetze vieler Länder bereits in ihre Definition vom Grenzraum eingeschlossen. Neue EU-Pläne teilen das gesamte Europa gar in Zonen unterschiedlicher Kontrolldichten auf, um Migrationsbewegungen schon weit vor den eigenen Grenzen zum Stoppen zu bringen.
Und so verweist das Ende der klassischen Grenzüberwachung vor allem auf eine wenig erfreuliche Weiterentwicklung der vorherrschenden Machttechnik: Die Disziplinargesellschaft ist von der Kontrollgesellschaft abgelöst worden. Der Überwachungsapparat hat es aber weniger auf den „gläsernen Bürger“, wie es in der Romantik des Volkszählungsboykottes vermutet wurde, sondern auf nichts weniger abgesehen als die neuen Kapitalvergehen schlechthin: „Illegale Einwanderung, Schleppertum, organisierte Kriminalität“ heißt es in der Eigenwerbung in einem Atemzug. Deswegen werden seit neuem und weit hinter der Grenze ganze Autobahnen abgesperrt, um ziemlich banale Gesichtskontrollen durchzuführen. Deswegen werden monströse Computernetze wie das Schengen Informations System (SIS) errichtet, die nur wenig mit herkömmlicher Verbrechensbekämpfung zu tun haben, sondern zu fast 90 Prozent aus Daten von Personen bestehen, die abgeschoben werden sollen oder denen die Einreise versagt ist. Fast ist es überflüssig, zu erwähnen, daß zwei Drittel dieser Einträge von deutschen Behörden stammen.
Das moderne Grenzregime trägt die Züge eines weltweiten Apartheidssystems, meinte Etienne Balibar kürzlich. Feststeht immerhin, daß - Grenzen hin oder her - Bevölkerungspolitik die letzte Bastion der einst so mächtigen Staatengebilde ist. Wenn sie schon sonst nichts mehr weltbewegendes ausrichten können, scheinen sie wie zum Trotz darauf bestehen zu wollen, festzulegen, welchen Menschen sich wo aufzuhalten gestattet ist und wo nicht.
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