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Kleine Geschichte der Fluchthilfe

Im Grenzgebiet zwischen den USA und Mexiko wird nicht nur der biologische canis latrans als Kojote bezeichnet, sondern auch ein besonders verruchter Menschenschlag: "Coyote" heißen Fluchthelfer, die gegen ein gewisses Entgelt dabei behilflich sind, die Staatsgrenze ohne den ansonsten üblichen Formalkram zu überqueren. Um seine Dienste denjenigen anzubieten, die aus eigener Kraft nicht weiter kommen, muss der Fluchthelfer sich offenbar in ein Tier verwandeln. Genauer gesagt: eine Art Hund werden, der in der Lage ist, einen verborgenen Weg aufzuspüren, um die ihm Anvertrauten dann entlang dieser Fährte vom einen Land ins andere zu führen.
„Coyotes“ kommen aus dem Nichts und verschwinden dorthin auch wieder. Ihre Motivation gibt nur Rätsel auf. Geld mag bei manchen eine Rolle spielen, aber wohl nicht die entscheidende. Die Herausforderung, die auf den Fluchthelfer wartet, ist schließlich wesentlich komplizierter und das Risiko viel größer, als dass die erbrachte Dienstleistung mit einem finanziellen Vorteil aufgewogen werden könnte. Anderen bei der Flucht zu helfen, bedeutet dann, wenn die Menschlichkeit aussetzt, das Menschsein hinter sich zu lassen, Tier-werden eben. Es bedeutet, einen anderen Ausweg zu finden.
Von der Öffentlichkeit kann sich der Fluchthelfer dabei kaum Sympathien erhoffen, im Gegenteil. Das Bundeskriminalamt definiert „Schleuserkriminalität“ als „in der Regel gewerbs- oder bandenmäßig begangenen Unterstützungshandlungen zur unerlaubten Einreise und zum unerlaubten Aufenthalt von Ausländern“. Die Vereinten Nationen verurteilten „das Schlepperunwesen als eine Praxis, die gegen das Völkerrecht, gegen innerstaatliches Recht und gegen sonstige Übereinkommen zwischen Staaten verstößt und die die Sicherheit, das Wohl und die Menschenrechte der Migranten mißachtet.“
Fluchthelfer haben viele Gesichter und mindestens ebenso viele Namen. Die hektische Konjunktur der Fluchthilfe spiegelt sich schließlich auch in dem begrifflichen Durcheinander wider, das sich um die Beihilfe zum illegalen Grenzübertritt gebildet hat. Im Deutschen werden Fluchthelfer seit einigen Jahren als "Schlepper" oder "Schleuser" bezeichnet: Begriffe, die der Fahrzeugtechnik entlehnt sind, aber darüberhinaus eindeutig abwertend konnotiert sind. Anderswo werden, wie in Mexiko und dem Süden der USA, Namen aus der Tierwelt bevorzugt: Britische Seeleute nannten die Vermittler blinder Schiffspassagen "Sharks", Haie. Im Chinesischen gibt es den "Shetou", im Englischen den "Snakehead". Es meint einen Menschen, „der schlau ist wie eine Schlange und seinen beweglichen Kopf zu nutzen weiß, um sich durch schwierige Hindernisse einen Weg zu bahnen.“ Nur auf Französisch wird die Unterstützung beim informellen Grenzübertritt ziemlich nüchtern bezeichnet: "Passeurs".
Eine Frühform systematischer Fluchthilfe war die so genannte "Underground Railroad". Vor und während des amerikanischen Bürgerkriegs brachten die Abolitionisten entlaufene Sklaven nachts und auf sicheren Wegen aus den
Südstaaten in den sicheren Norden der USA oder nach Kanada. Die Abolitionisten sahen ihre meist religiös motivierte Aufgabe vorrangig im Kampf gegen den Rassismus und in der Errettung von Menschen, denen der sichere Tod drohte, sobald sie sich dem System der Sklaverei entzogen. Die Grenze, über die es ihnen hinwegzuhelfen galt, war eine Demarkationslinie, die innerhalb eines Landes verlief, die Grenzüberschreitung war ein Überschreiten der Grenze von feudaler Gesellschaft und landwirtschaftlicher Produktion hin zur kapitalistischen Industrieproduktion. Letztere gab erst einmal vor, keinen Unterschied zwischen den Menschen zu machen.
Mit den beiden großen Proletarisierungswellen Mitte und Ende des 19. Jahrhunderts brach das vom Wiener Kongress restaurierte Grenzregime in Europa fast völlig zusammen. Arbeiter aus dem Süden und aus dem Osten wurden vom Land in die Stadt und natürlich über alle staatlichen und nationalstaatlichen Grenzen hinweg mobilisiert. Abgesehen von Frankreich und Russland waren Grenzgänger bis zum ersten Weltkrieg auch nicht genötigt, eine entsprechende Erlaubnis oder einen Pass vorzuzeigen, wenn sie von einem Land in ein anderes wechseln wollten. Offizielle, durch und durch kommerziell motivierte Fluchthilfe boomte derweil: So spezialisierte sich die Reederei Hapag mit ihrer Hamburg-Amerika-Linie fast vollständig auf das legale Geschäft mit Auswanderern und gründete 1901 im Hamburger „Veddel“ eine eigene Stadt, um ausreisewillige Migranten, die ihrer Heimat bereits den Rücken gekehrt hatten und sehnsüchtig auf ihre schnellstmögliche Beförderung in die USA warteten, in großem Maßstab in die neue Welt zu schleusen.
Bedarf für organisierte, illegale Fluchthilfe meldeten bis dahin politische Flüchtlinge, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer an. Ähnlich den entflohenen Sklaven hatten sie die spezifische Absicht, „disziplinarischem Innendruck“ zu entkommen. „Ärmliche Besoldung und rigorose Disziplinierung, aber auch kollektive Unzufriedenheit und konfessionelle oder familiäre Solidarität zogen Desertionen nach sich“, konstatiert Michael Sikora schon für das 18. Jahrhundert, dem Zeitalter massenhafter Desertion aus den steehenden Heeren. So zeitlos das Phänomen Desertion und deren organisatorische Unterstützung ist, so aufschlussreich ist der Widerstand gegen die staatliche Verfügungsgewalt über die rekrutierten Untertanen allerdings im Zusammenhang mit der Formierung des modernen Nationalsstaates. Generalmobilmachung und Kriegsökonomie des ersten Weltkrieges führten schließlich in ganz Europa zur Etablierung von Grund auf erneuerter Grenzregimes, die auf modernem Passwesen, also Identitätsnachweis mit entsprechenden Sichtvermerken, basierten. Unmittelbar an der Staatsgrenze sollten Menschen von nun an in zwei Kategorien eingeteilt werden können: Solche, denen der Übertritt gestattet sei und solche, denen der Zugang zum Disziplinarraum des Nationalstaates verwehrt werde. Erfolgte ein Grenzübertritt bislang nur aus sehr spezifischen Gründen, die wiederum eng mit den Fluchtursachen verknüpft waren, besser im Geheimen, wird er von nun an pauschal illegalisiert, sofern gewisse Papiere nicht vorliegen, beziehungsweise nicht vorliegen können. Zumindest theoretisch verallgemeinert sich der Bedarf an Fluchthilfe von diesem Moment an.
Bis das moderne Grenzregime dann auch praktisch durchgesetzt war, dauerte es aber fast bis zum zweiten Weltkrieg. Der Vormarsch von Faschismus und deutscher Armee trieb Zehntausende von Gegnern und Opfern des Nationalsozialismus in die Flucht. Schnell stellte es sich als Trugschluss heraus, dass es mit dem Überschreiten einer einzigen Staatsgrenze bereits getan wäre. Die Flucht vor dem Faschismus geriet trotz oder gerade wegen wachsender Mobilität zu einem wesentlich komplizierteren und weitreichenderen Unterfangen. Paradoxerweise betätigten sich bis zum November 1938 auch deutsche Grenzbehörden als illegale Fluchthelfer, indem Zoll und Grenzpolizei Juden entweder aus politischem Eifer oder gegen Zahlung hoher Bestechungsgelder über die grüne Grenze nach Belgien und die Niederlande schleusten.
Die Gestapo hatte schon Mitte der 30er Jahre die ersten Ermittlungsverfahren wegen organisierter Fluchthilfe gestartet. Zunächst waren es Kommunisten und Sozialisten, die mithilfe von Belegschaftskontakten Transportmittel wie Eisenbahnen und Schiffe benutzten, um Illegale, Widerstandskämpfer oder Flüchtlinge über die Grenze zu bringen. Später dann Quäker, die konfessionslose Juden zumindest vorübergehend in Sicherheit zu bringen versuchten. Je niedriger der politische Organisationsgrad, umso zwangsläufiger musste der Grenzübertritt über die "grüne Grenze" passieren. Dank der Zusammenarbeit mit Ortskundigen und Einheimischen, aber auch mithilfe kommerzieller Fluchthilfeorganisationen gelang es vor allem vor, aber auch während des 2. Weltkriegs in wahrscheinlich Zigtausenden von Fällen, die schärfer werdenden Kontrollen vor allem an der deutsch-belgischen, der deutsch-tschechischen und den schweizerischen Grenzen zu umgehen. Fluchthilfe in ihrer ursprünglichsten Form funktionierte vor allem deswegen, weil die lokalen Grenzbeamten, wie sie das seit Jahrunderten gewohnt waren, gerne ein Auge zudrückten, wenn andere Ortsansässige die Grenze überquerten und dabei unerlaubte Waren oder -- vor allem in Kriegs- und Krisenzeiten -- eben auch Menschen mit sich führten.
In dem wohl bekanntesten Dokument antifaschistischer Fluchthilfe, dem Roman „Das siebte Kreuz“ schildert Anna Seghers die Flucht von sieben Häftlingen aus dem Konzentrationslager Westhofen. Der Kommandant läßt für die sieben Entflohenen jeweils ein Kreuz auf dem „Tanzplatz“ des Lagers aufstellen. Während vier Flüchtlinge von der Gestapo gefangen genommen werden, einer stirbt und ein weiterer sich freiwillig stellt, gelingt es einem Einzigen, dem Mechaniker Georg Heisler, dem Nationalsozialismus zu entkommen. Das siebte Kreuz, das leer bleibt, wird zum Symbol des Widerstands. Der Lagerkommandant merkt, „daß er nicht hinter einem einzelnen her war, dessen Züge er kannte, dessen Kraft erschöpft war, sondern einer gesichtslosen, unabschätzbaren Macht.“ Nicht durch die Hilfe eines Apparates oder einer Organisation, sondern durch die tatkräftige Unterstützung vieler einzelner, meist einfacher Menschen, die ihrerseits ihr Leben und das ihrer Angehörigen aufs Spiel setzen, schafft Heisler nicht nur die Flucht in die Freiheit, sondern stellt noch wesentlich mehr unter Beweis: „Ein entkommener Flüchtling, das ist immer etwas, das wühlt auf. Das ist immer ein Zweifel an ihrer Allmacht. Eine Bresche.“
Schon zwei Jahre vor dem zweiten Weltkrieg war die Grenze zwischen Frankreich und Spanien war von französischer Seite aus dicht gemacht worden. Ziel war, den Internationalen Brigadisten im Bürgerkrieg den Zugang zu verwehren. Die Rotspanienkämpfer überquerten daraufhin ab Mitte 1937 mithilfe sogenannter "réseaux irrégulairs" die Pyrenäen. Am 6. April 1940 gab der Präfekt des Departement Pyrenées-Orientales dann den Erlaß bekannt, daß klandestine Grenzübertritte einen Straftatbestand darstellten und die Täter sich von nun an vor Gericht verantworten müssten.
Ein Schicksal, dem der Amerikaner Varian Fry und viele andere Fluchthelfer immer wieder nur knapp entgingen. Am 3. August 1940 war der damals 32- jährige Amerikaner im Auftrag des Emergency Rescue Comitees mit 3000 Dollar nach Frankreich gereist. Sein Auftrag lautete, einige der wichtigsten politischen Flüchtlinge vor den vorrückenden Nazis in Sicherheit zu bringen. Obwohl Fry über keinerlei Erfahrungen auf dem Gebiet des Menschenschmuggels verfügte, gelang es ihm, eine weit verzweigte und gut getarnte Fluchthilfe-Organisation aufzubauen und – statt der vorgesehenen zehn - an die 2000 Flüchtlinge meist von Marseilles aus über die spanische Grenze und von dort aus über Portugal in die USA zu schmuggeln.
Ähnlich operierten zahlreiche andere Widerstandsgruppe wie die um Joachim von Zedtwitz und die Schriftstellerin Milena Jesenska im besetzten Prag, bis ein Spitzel die Organisation auffliegen liess. Ziel war, Juden, tschechische Offiziere und andere gefährdete Personen mit dem Auto in die Gegend von Mährisch Ostrau zu bringen. Von dort wurden sie von ortskundigen Einwohnern über die grüne Grenze nach Kattowitz in Polen geführt, wo Engländer ein Auffanglager unterhielten.
Jesenska, hatte in einem ihrer Texte einmal geschrieben: "Ein jeder kann mit einem anderen Menschen nur insoweit mitfühlen, als er imstande ist, sich das Schicksal des anderen vorzustellen." Das Bild des Fluchthelfers aus dieser Zeit ist jedoch geprägt vom Klischee des mitleidlosen, desillusionierten Zynikers, den Humphrey Bogart in den Spielfilmen "Casablanca" und vor allem ”To Have and Have Not” darstellt. Der unbeteiligte Fremde, der alle Konfliktparteien gegeneinander auszuspielen weiss, dem jede lokale Spitzfindigkeit geläufig ist, hat keine Intention und keine Identität. ”Wo liegen ihre Sympathien?” wird der Schlepper Bogart in ”To Have and Have Not” andauernd gelöchert. ”Ich kümmere mich um mich selbst”, ist seine Antwort. Und Lauren Bacall, die gefragt wird, wer sie sei, sagt: ”Niemand. Eine Art Freiwillige.”
Tatsächliche Fluchthelfer dürften aus einer etwas präziseren Bestimmung heraus agiert haben, nichstdestotrotz gibt es eine Leerstelle in der Subjektivität des Fluchthelfers. Georg Lukacs bemängelte, in „Das siebtes Kreuz“ das „tiefe Warum des Kampfes“ nicht ausmachen zu können. Vergleichsweise mystisch heißt es bei Anna Seghers heißt es zum Schluss: „Wir fühlten alle, wie tief und furchtbar die äußeren Mächte in den Menschen hineingreifen können, bis in sein Innerstes, aber wir fühlten auch, daß es im Innersten etwas gab, was unangreifbar war und unverletzbar.“
Auch Lisa Fittko, die im Auftrag von Varian Fry zum Beispiel Walter Benjamin und Hannah Arendt über die Pyrenäen brachte, erinnerte sich: "Und immer wieder fragten und stritten wir uns: wo gehören wir hin? Wir haben eine Aufgabe. Unsere Aufgabe ist jetzt, aus dieser Falle zu entkommen. Wir müssen uns selber retten - wir müssen versuchen, uns gegenseitig zu retten." Im Widerspruch zur recht banalen Pragmatik der Flucht scheint es eine Esoterik der Fluchthilfe zu geben, die die Grenze unmittelbarer, eigener Betroffenheit überschreitet und die Grenzen blanken humanitären Engagements ins Unermeßliche ausweitet.
Während in vielen antifaschistischen Widerstandszirkeln nur über politische Programmatik gestritten wurde, wollte Milena Jessenska mit einer "unmittelbaren, praktischen Aktion zur der Bekämpfung des Nationalsozialismus beitragen". Sie verzichtete schließlich sogar darauf, sich selbst in Sicherheit zu bringen und wird im KZ Ravensbrück umgebracht. "Oh, Gott, was ist das für eine Grenze" schrieb sie in einem Artikel Ende 1938, "ein Stückchen Draht über das Feld, eine Stange übern Weg, ein Strick von Baum zu Baum, ein Kind könnte das Ganze niederreißen, es ist zum Weinen." Die Unerbittlichkeit der Grenze manifestierte sich damals sicherlich nicht im Grad ihrer Befestigung; es galt, eine Totalität von Überwachung und Unterdrückung zu unterlaufen, die im Inneren der Grenze herrschte und andauernd ausgeweitet wurde.
Umfangreich befestigt, militärisch hochgerüstet und schier unüberwindbar wurden Grenzen im Kalten Krieg, als die Welt für ein knappes halbes Jahrhundert in Machtblöcke und starre Einflussphären aufgeteilt war. Offensichtlich wurde die neue Bedeutung der Grenze an der Berliner Mauer oder dem 38. Breitengrad, der Nord- und Süd-Korea voneinander trennt. Vor der endgültigen Festschreibung der Nachkriegsordnung flohen – gegen den heftigen Widerstand Großbritanniens - schätzungsweise eine Viertelmillion osteuropäische Juden in drei großen Migrationswellen von 1945 bis 1949 auf abenteuerlichen Wegen über Österreich und Italien nach Palästina.
„Bricha“, zu deutsch "Flucht", war eine Fluchthilfeorganisation, die um den Jahreswechsel 1944/1945 in Ostpolen und Litauen entstanden war und sich um das Schicksal der Überlebenden der Shoah kümmerte, die als „Displaced Persons“ eine Leben im Transit in den Lagern der Alliierten führten. „Aufgrund der britischen Blockade der Wege ans Mittelmeer wurde es immer aussichtsloser, aus Österreich nach Palästina zu gelangen. Für die Mehrheit der Flüchtlinge blieb als einzig realistische Option die Weiterreise in die US-Zone Deutschlands als vorläufigem Endpunkt ihrer Flucht. Nur eine Minderheit - immerhin rund 50.000 - konnte die Bricha aus Österreich nach Italien schleusen.“
1961 riegelte die DDR-Führung alle bis zu diesem Zeitpunkt noch offenen Fluchtwege ab, um einen Abwanderungsstrom einzudämmen, der bis zu diesem Zeitpunkt mindestens 100.000 Menschen pro Jahr ausmachte. Mit dem Bau der Berliner Mauer wurde jedoch keineswegs der Wille zur Flucht gebrochen, sondern "im Gegenteil herausgefordert, auch wenn die Republikflucht
schwieriger und gefährlicher geworden war. Fluchthilfe, und zwar organisierte wurde so geradezu zwangsläufig provoziert."
Nachdem es ihm gelang, mithilfe einer Fluchthilfeorganisation seine in der DDR zurückgebliebene Geliebte in den Westen zu schleusen, beschreibt Uwe Johnson in der Erzählung "Eine Kneipe geht verloren" detailliert Aufbau und Arbeitsweise einer Fluchthilfeorganisation von jungen Westberliner Studenten. Johnson bricht mit dem diesseits und jenseits der Grenze herrschenden Tabu, über die Methoden der Republikflucht entweder Schweigen zu wahren oder Missfallen zu äußern. Denn ausgerechnet, als es die geringst mögliche Distanz zwischen zwei Staaten zu überwinden galt, wurde Fluchthilfe tabuisiert, verdammt, heroisiert und ideologisiert wie nie zuvor. Johnsons Fluchthelferin dagegen sieht sich nicht bemüßigt, einen Grund anzugeben, "aus dem Leuten über die Grenze zu helfen wäre". „Manchmal macht man eben Sachen ohne zu wissen warum“, sagt auch Erik Schumann als Grenzpolizist Kaufmann im deutschen Spielfilm-Melodram „Himmel ohne Sterne“, bevor er ein Kind über die Grenze schmuggelt - in diesem besonderen Fall sogar von West nach Ost.
Johnsons Fluchthelferin ist mit den anderen war durch "nichts als ein Drittes verbunden" und dennoch verschleisst sie die gesamte Erbschaft, um Menschen auch dann noch über die Mauer zu helfen, als "zwei Überführungen ungefähr so teuer wie ein vollständiger Serienwagen der Mittelklasse" wurden und die bloss politisch motivierten Fluchthelfer das Feld längst kommerziellen Anbietern überlassen hatten. Bald nach dem Mauerbau war es nämlich nicht mehr nur damit getan, Gesetze zu umgehen, "die im Osten wie im Westen der Stadt peinliche Strafen androhten für den Mißbrauch von staatlich ausgestellten Personalpapieren"
Fluchthilfe wurde zusehends aufwändiger und gefährlicher: Gefälschte Pässe, Fluchttunnel, Fahrzeuge mit geheimen Hohlräumen waren notwendig, nachdem die DDR-Grenzer den einfachen Tricks der Fluchthelfer auf die Schliche kamen.
Wohl spektakulärstes Beispiel für Fluchthilfe in dieser Epoche ist der 126 Meter lange Tunnel unter der Bernauer Strasse von Ost- nach West-Berlin. Fünf Monate lang hatten knapp 50 Studenten den Tunnel von einer alten Fabrik im Stadtteil Wedding bis in den Keller eines Ostberliner Wohnhauses gegraben, um am 14. September 1962 insgesamt 29 Menschen zur Flucht zu verhelfen. Geleitet wurde das Unternehmen von Hasso Herschel, der ein knappes Jahr zuvor mit einem falschen Schweizer Pass aus dem Osten in den Westen überwechselte und mit dem Tunnel seine Schwester sowie seine Nichte zu sich holen wollte. Finanziert wurde der Tunnelbau vom Fernsehsender NBC, der für die Filmrechte 50.000 Mark bezahlte. Herschel will später noch zwei weitere Tunnel durch das Berliner Erdreich gegraben haben und per Hubschrauber sowie mithilfe von umgebauten Autos rund 1000 Menschen den illegalen Grenzübertritt ermöglicht haben.
Ende 1963 waren die meisten studentischen Gruppen und Feierabend- Fluchthelfer zur Aufgabe gezwungen. An ihre Stelle traten ab Mitte der 60er Jahre professionelle Unternehmen wie die Schweizer "Aramco AG", die mit den enormen Auslagen hantieren, auf entsprechende Erfahrungen und Infrastruktur
zurückgreifen konnten und deswegen für die Schleusung meist mehrere Zehntausend Mark berechneten. Weitgehend ungeachtet ihrer gewerbsmäßigen Struktur und kommerzieller Motive wurde Fluchthilfe sowohl von den DDR- Gerichten als auch von sympathisierenden Kreisen im Westen weiterhin als brisanter politischer Akt begriffen. "Fluchthilfe war Widerstand – das Eintreten für die Wahrung oder Wiederherstellung des Rechts auf Freizügigkeit," ist die These des Kölner Publizisten Karl Wilhelm Fricke. Die Gegenseite sah das ähnlich und sprach schon vor dem Mauerbau bei halbwegs organisierten Grenzverletzungen pauschal von "Menschenhandel" und später dann von "staatsfeindlichem Menschenhandel", dem ab 1968 sogar ein eigener Tatbestand im DDR-Strafgesetzbuch gewidmet war. Im Paragrafen 105 wird die Beihilfe zum "ungesetzlichen Grenzübertritt" mit einer interessanten Terminologie belegt. Wer es demnach unternahm, DDR-Bürger "abzuwerben, zu verschleppen, auszuschleusen oder deren Rückkehr zu verhindern", musste mit mindestens 2 Jahren Gefängnis rechnen.
Schon kurz nach dem Fall der Mauer war das Thema Fluchthilfe im wiedervereinigten Deutschland wieder aktuell. Bundesdeutsche Behörden übernahmen einigermaßen bruchlos die DDR-Terminologie vom „Schleppen“ und „Schleusen“ und wandten sie für einen Tatbestand an, der im Westen bis vor 1989 konsequent als „Fluchthilfe“ geadelt war. So wenig vergleichbar der politische Kontext ist, so frappierend ist doch die Übereinstimmung im Bemühen, die Beihilfe zum unerlaubten Grenzübertritt pauschal als verbrecherischen Akt des Menschenhandels zu diskreditieren. Bald nachdem die Euphorie über die Öffnung der Grenzen verflogen war, machten sich Bundesgrenzschutz, Innenministerien und Bundesregierung daran, die erneute Abschottung der Grenze, diesmal allerdings ein paar Kilometer weiter östlich zu betreiben. Eine angebliche „Asylantenflut“ und eine Welle osteuropäischer Einwanderer wurden als Gefahr für die Innere Sicherheit und Verfasstheit des Landes beschworen, der nur durch eine konsequente Aufrüstung der Ostgrenzen begegnet werden könne. Fortgesetzt wurde auch die systematische Verkehrung von Ursache und Wirkung, wenn die für das neue Grenzregime verantwortlichen Politiker gebetsmühlenartig die menschenverachtenden, kriminellen Methoden der Schlepper und Schleuser beklagen.
Sobald jedoch von staatlicher Seite die Logik des Einschlusses durch die des Ausschlusses ersetzt wurde, verlagerte sich der Schwerpunkt der Fluchthilfe: Immer weniger geht es um das blosse Entkommen, als vielmehr um ein Ankommen. Der Fluchthelfer bietet eine Dienstleistung an, die plötzlich ohnehin hoch im Kurs steht: Er ist in der Lage, Zugang zu verschaffen. Diese Macht, oder besser Gegen-Macht, scheint den betroffenen Nationalstaat oder das, was von ihm übrig geblieben ist, aber auf das Äußerste herauszufordern. In fast allen europäischen Ländern sind im Laufe der 90er Jahre neue Gesetze gegen Fluchthilfe eingeführt worden oder bestehende Regelungen drastisch verschärft worden. Auf internationaler Ebene treffen sich eigens eingerichtete Komissionen, die sich der "Bekämpfung der Schlepperkriminalität" verschrieben haben. Spätestens ab Mitte der 90er Jahre scheint sich auch in der Europäischen Union der Migrationsdiskurs auf einen Kampf gegen illegale Einwanderung im
allgemeinen und das so genannte „Schlepperunwesen“ im besonderen zusammengezogen zu haben.
Nach der Hetze auf Asylbewerber wird sich nun auf einen neuen Sündenbock eingeschoßen. Und plötzlich ist Platz für Mitleid mit den Flüchtlingen. Mitleid mit den Opfern der Schlepper - nicht aber Mitleid mit den Opfern des menschenverachtenden Grenzregimes von Polizei, Bundesgrenzschutz und Bürgerwehren. Dieses Mitleid ist nichts als Heuchelei.
Fluchthilfe als solche entzieht sich nicht nur einer klaren begrifflichen Definition und objektiven Beurteilung, sondern vor allem einer generellen moralischen Bewertung. Es handelt sich um absolut singuläre, nicht wiederholbare und verallgemeinerbare Ereignisse. Auch wenn bestimmten Routen immer wieder verwendet werden, so ändern sich doch die Begleitumstände jedes Mal und kein Weg ist wie der vorige. Dies hat nicht zuletzt damit zu tun, dass der Fluchthelfer im Unterschied zum Schmuggler keine Waren transportiert, sondern ein lebendiges, ganz besonderes Gut: Menschen. Und zwar die unterschiedlichsten Menschen, die sich aus den unterschiedlichsten Gründen auf den Weg gemacht haben, und sich durch die Illegalität in einer bis zum Äußersten zugespitzten Situation befinden. Der Fluchthelfer ist immer wieder auf dadurch hervorgerufene Unwägbarkeiten konfrontiert. "Von daher muss auch immer mit unliebsamen Überraschungen gerechnet werden, mit unvorhergesehenen Wartezeiten, mit auch mal sehr improvisierten, schlecht vorbereiteten Grenzüberschreitungen zu Fuß oder ganz eng im LKW."
"Wir können uns nicht wirklich aussuchen, wer mit uns über die Grenze geht, noch wollen wir es", sagt einer der anonymen Fluchthelfer aus Österreich. Auch deren Motivation ist zwiespältig: "Unser Ziel war es von Anfang an, Grenzen zu übertreten. Zuerst, weil es uns einen Riesenspaß gemacht hat, später immer mehr, weil viele von uns darin die einzige Chance sehen, Grenzen ad absurdum zu führen." Auch wenn diese Gruppe Fluchthilfe vor dem Hintergund eines ausgeprägten politischen Bewusstseins praktiziert, geben sich die Fluchthelfer keinerlei Illusionen über die politische Wirksamkeit ihres Handelns hin: "Was wir tun, ist nicht besonders hervorhebenswert, weil es genau genommen recht wenig politische Auswirkungen hat. Es befriedigt uns, und es hilft Einzelpersonen."
Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen politisch oder privat motivierter, organisierter oder nicht-organisierter, kommerzieller oder nicht-kommerzieller Fluchthilfe macht heutzutage wohl kaum einen Sinn. Die Übergänge sind fließend, denn es liegt in der Natur der Sache, dass Fluchthilfe möglichst organisiert von statten gehen muss und dass für die Fluchthilfe je nach Gefährdungs- und Schwierigkeitsgrad unterschiedlich hohe Kosten anfallen. Eher schon spiegelt eine solche Kategorisierung Projektionen wie die gängige Einteilung von Flüchtlingen in solche aus politischen und solche aus wirtschaftlichen Gründen wieder, die den Migrationsdiskurs der 80er und 90er Jahre beherrschte.
Über die vordergründigen Motive hinaus - seien sie nun überwiegend humanitärer oder kommerzieller Natur - wird Fluchthilfe von dem Verlangen getrieben, im konkreten, einzelnen Fall über die abstrakte Unmenschlichkeit der Grenze zu siegen. Mit der Staatsgrenze werden aber fast zwangsläufig die vorgefassten Grenzen von Mitleid und Eigennutz überschritten. Wenn auch nur vorübergehend und für einen klar umrissenen Zeitraum löst sich die Ungleichheit zwischen Flüchtling und Fluchthelfer auf. Ana Maria Rodriguez, die von El Salvador aus zu ihrem Freund nach New York aufgebrochen ist, beschreibt ausführlich ihre Erlebnisse mit den Fluchthelfern, die ihr den Weg über die verschiedenen Grenzen geöffnet haben: Die „Coyotes“ haben für Unterkunft und Verpflegung gesorgt, Autos und Boote organisiert, Verzagten Mut gemacht, Grenzer und Polizisten bestochen, wurden zusammen mit den Flüchtlingen verhaftet, die sie nicht verraten haben, und zusammen mit ihnen zurückgeschoben. Wenn ein Versuch des Grenzübertritts gescheitert ist, haben sie es nach einer Verschnaufpause nochmals versucht und einen neuen Weg aufgetan. Kein Wunder, schließlich bezahlen die Verwandten erst nach erfolgreicher Ankunft in den USA.
Grenzen sind dazu da, überschritten zu werden. Der Fluchthelfer kann völlig zu Recht annehmen, dass es unmöglich ist, eine Grenze völlig zu schließen und gegen den Zutritt Unbefugter abzusichern. Und je schwieriger es Menschen gemacht wird, ein Territorium zu betreten oder zu verlassen, umso größer ist der Bedarf nach organisierter oder gar professioneller Fluchthilfe. Doch genauso wie Maßnahmen der so genannten Grenzsicherung allenfalls dazu dienen können, den Preis und das Risiko des Grenzübertritts künstlich in die Höhe treiben, kann Fluchthilfe aber auch nichts am Fortbestand und der Funktion der Grenze ändern. Im Gegenteil: Jede Verletzung der Grenze bestätigt diese und jede Überschreitung verstärkt sie in gewissem Sinne. Illegaler Übertritt sowie damit verbundener Aufwand und Strapazen filtern die motiviertesten und flexibelsten unter den Migranten aus, und führen sie der Überausbeutung auf einem informellen Arbeitsmarkt zu, dem sie ohne Rechte und vor allem ohne das Recht, überhaupt Rechte zu haben, zur Verfügung stehen.

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