User Bar First

This is a debugging block

User Bar Second

This is a debugging block

Branding

This is a debugging block

Menu

This is a debugging block

Header First

This is a debugging block

Header Second

This is a debugging block

Preface First

This is a debugging block

Preface Second

This is a debugging block

Preface Third

This is a debugging block

Content

This is a debugging block

New rules of the New Actonomy 3.0

Florian Schneider

Ein heißer Samstag Ende Juni 1997: Khaled hatte mit "Aisha" gerade die europäischen Charts gestürmt, in Frankreich hatten sans papiers, Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere, eine Kirche nach der anderen besetzt und Filmemacher zur Beherbergung von illegalen Einwanderern aufgerufen. In Deutschland wurde das generelle Arbeitsverbot für Asylbewerber erlassen und Ausweisungsbestimmungen verschärft. Die damals seit kurzem so genannte Zivilgesellschaft stellte sich tot, doch auch diese Tatsache spielte keine besondere Rolle mehr. Wir kamen mit einer Autoladung voll Videotechnik am frühen Vormittag in Kassel an und durften nach langem Hin und Her endlich im Schatten hinter der Orangerie parken. Eine Woche zuvor war die documenta X eröffnet worden, und wo ansonsten Planetarium und Museum für Technikgeschichte beherbergt sind, stand für 100 Tage ein temporäres Medienlabor Netzaktivisten zur Verfügung. Niemand wusste so recht, was nun eigentlich passieren sollte, und vor allem warum. Am Haupteingang drängelten sich die ersten Besucher. Drinnen im "Hybrid Workspace" versammelten sich ein paar Dutzend Künstler, Medienaktivisten, Gewerkschafter, Flüchtlingsunterstützer und Antirassisten. Stunden später hatten wir den Appell "kein mensch ist illegal" verabschiedet, die mitgebrachten Gerätschaften aufgebaut und öffneten endlich die Türen.

Vier Jahre danach hat sich alles und doch wieder nichts geändert. Seit Monaten reden Regierungen der Nationalstaaten des alten Europa über einen dramatischen Mangel an Arbeitskräften, zum Beispiel im High-Tech- und IT-Sektor. Der zuständige EU-Komissar räumte zwischenzeitlich ein, den Kampf gegen die klandestine Migration verloren zu haben. In Deutschland tobt eine Einwanderungsdebatte, die jedoch in nichts anderem als Vorschlägen zur weiteren Verschlechterung der Lage von Migranten und einer neuerlichen Illegalisierungswelle zu münden scheint. "kein mensch ist illegal" ist aktueller denn je, gleichzeitig wird die Kampagne derzeit um eine komplementären Slogan angereichert: "Jeder Mensch ist ein Experte" fordert rigoros das Recht auf globale Freizügigkeit, Zugangs-, Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit für alle Menschen ein. Es geht nicht nur darum, die vorherrschenden Allgemeinplätze und trivialen Definitionen von Expertentum, die allesamt noch aus dem analogen Zeitalter stammen, radikal in Frage zu stellen. Es bedeutet vor allem, die fixe Idee zu attackieren, Migrantinnen und Migranten in nützliche und unnütze Arbeitskräfte zu selektieren.

Time is Running out for Reformism. This is the golden age of irresistible activism. Accelerate your politics. Set a target you can reach within 3 years--and formulate the key ideas within 30 seconds. Then go out and do it. Do not despair. Get the bloody project up and then: hit hit hit. Be instantly seductive in your resistance. The moral firewalls of global capitalism are buggy as never before. Corporations are weakened because of their endemic dirty practices, mad for profits. The faster things are changing, the more radical we can act. The faster things are changing, the more radical we have to act.

"kein mensch ist illegal" ist eine doppelte Verneinung, die vieles aussagen kann. Zu allererst einmal: Erwartet nicht von uns, dass wir Flüchtlinge und Migranten nicht unterstützen, bloß weil sie keinen gültigen Aufenthaltstitel besitzen und per Gesetz in die Illegalität gedrängt werden! Erwartet nicht, dass wir nicht behilflich sind bei der Ein- oder Weiterreise, bei der Beschaffung von Arbeit und Papieren, bei der Gewährleistung von medizinischer Versorgung, Schulbesuch und Ausbildung, Unterkunft und materiellem Überleben! Gleichzeitig hieß es aber auch: "kein mensch ist illegal" ist keine neue NGO, keine karitative Organisation, die scheinbar selbstlos Wohltaten verteilt. Es ging vielmehr darum, ein Netzwerk aufzubauen, Kontakte zu sammeln, Kenntnisse untereinander auszutauschen, die verschiedensten Ansätze, Motivationen und Begründungszusammenhänge miteinander kurzzuschließen, um einen Teil der Arbeit, die in den Jahren zuvor meist heimlich und versteckt geschehen war, öffentlich zu machen. Nicht weil wir so stolz gewesen wären auf das, was im Einzelnen erreicht werden konnte, sondern weil selbst dieses wenige auf einmal in Gefahr zu geraten schien und deswegen weiter vorangetrieben und beschleunigt werden musste.

Radical demands are not by default a sign of a dogmatic belief system (they can, of course). If formulated well they are strong signs, penetrating deeply into the confused postmodern subjectivity, so susceptive for catchy phrases, logos and brands. The green-liberal idea of slowly changing capitalism from within no longer works. Not because the Third Way parties powers have "betrayed" the cause. No. Simply because their project is constantly running out of time. Global systems are in a state of permanent revolution, and so is subversive politics. Society is changing much faster than any of its institutions, including corporations. No one can keep up. There is no time anymore for decent planning. The duration of a plan, necessary for its implementation is simply not longer there. This mechanism turned the baby boomers into such unbearable regressive control freaks. There is no more time to go through the whole trajectory from research to implementation. Policy is reduced to panic response.

Wir waren wenige und fingen langsam an. Wir haben viel gelernt und versuchten von vorneherein, neue Kommunikationsmöglichkeiten für unsere Zwecken zu nutzen. In nur wenigen Tagen auf der documenta X gelang es, vor allem mit Hilfe von E-Mails, Mailinglisten und Webseiten ein informelles Netzwerk aufzubauen, das lokale Zusammenschlüsse in fast allen größeren Städten Deutschlands umfaßt. Immer wieder wurden in den letzten Jahren große Ausstellungen, Einladungen in Museen oder Galerien, eigene Veranstaltungen, Zeltlager oder Konferenzen dazu genutzt, temporäre Kampagnenbüros einzurichten, um kurzfristige, klar umrissene Ziele zu erreichen. "kein mensch ist illegal" hat keine offiziellen oder festen Strukturen. Es gibt niemanden, der in der Lage wäre oder willens, das Netzwerk als Ganzes zu repräsentieren, zu vertreten, oder gar dafür verantwortlich zu machen wäre. Den Ausschlag für diese Konstruktion gaben vor allem taktische Erwägungen: Um nicht zu viel zu versprechen, was später nicht gehalten oder eingelöst werden könnte, um politische Verwicklungen zu vermeiden und die Vereinnahmung von Prozessen zu verhindern, die von Anfang an und in ihrem Kern den verschiedensten Zwecken dienen sollten. "kein mensch ist illegal" ist nicht mehr und nicht weniger als eine Parole, die all diejenigen verwenden und benutzen mögen, die damit etwas anfangen können und mit ihrem spezifischen Kenntnissen und Fähigkeiten zur Gesamtheit der Aktivitäten beitragen wollen.

Government policy is reduced to panic response. For the complex society its enemies are the blueprints of five years ago. The future is constantly being re-defined, and re-negotiated. Global systems are in a state of permanent flux between revolution and reaction--and so is subversive politics. Society is changing much faster than any of its institutions can handle. In short: no one can keep up and here lies the competitive advantage of today's mobile actonomists.

"kein mensch ist illegal" ist keine Forderung, die sich an den Staat richtet, den Gesetzgeber um die Milderung gesetzlicher Härten ersucht, in skandalösen Einzelfällen um ein wenig humanitäre Nachsicht bittet oder konkrete Vorschläge unterbreitet, wie Einwanderung besser unter Kontrolle gebracht werden könnte, indem etwa gewisse Bestimmungen liberalisiert oder dereguliert würden. "kein mensch ist illegal" ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit - eine Plattitude, die allerdings erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Über die praktische Arbeit vor Ort müssen meist nicht viele Worte verloren werden, viel wichtiger ist beherztes, rasches und unkompliziertes Handeln. Die Herangehensweise ist grundsätzlich ergebnisorientiert, schließlich geht es um konkrete Verbesserungen der Lage, in der sich Menschen ohne oder ohne gesicherten Aufenthaltsstatus befinden. Die Kampagne begann zu einem Zeitpunkt, als in ganz Europa nach und nach die strafrechtlichen Bestimmung für die so genannte Beihilfe zur "illegalen Einreise" und zum "illegalen Aufenthalt" drastisch verschärft wurden. "kein mensch ist illegal" bezieht sich auf einen Text von Ellie Wiesel, der sich schon vor längerer Zeit fragte: "Wie kann ein Mensch illegal sein?" Erst vor dem Hintergrund der offiziellen Politik von Null-Migration und systematischer Illegalisierung erhält die Parole ihre besondere Bedeutung. Doch diese Radikalität ist nicht nur kontextabhängig und wird vor allem nicht belegt durch die vielen einzelnen, kleinen Gesten der Unterstützung und Hilfestellung, sondern durch die massenhafte Übertretung von Grenzen, welche Menschen aus welchen Gründen auch immer überschreiten. "kein mensch ist illegal" hat deswegen von Anfang an versucht, sich auf die organisierten und unorganisierten, kollektiven und individuellen Kämpfe von MigrantInnen zu beziehen und dabei Widersprüche, Probleme und Gemeinsamkeiten zu reflektieren.

Instead of crying over the disappearance of politics, the public, the revolution, etc. today's activists are focussing on the weakest link defining the overall performance of the system: the point where the corporate image materializes in the real world and leaves its ubiquity and abstract omnipresence. Shortcut the common deliberations about the dichotomy between real and virtual. Get into more sophisticated dialectics. It's all linked anyway, with power defining the rules of access to resources (space, information or capital). Throw your pie, write your code. Visit their annual stockholders meeting, and do your goddamned research first. What counts is the damage done on the symbolic level, either real or virtual.

"Aktivismus" war fast noch ein Fremdwort im Deutschen, als "kein mensch ist illegal" gestartet wurde. Herkömmliche Etiketten wie "Menschenrechtler" oder "engagierte Einzelpersonen", "antirassistische Initiativen" oder "Solidaritätsbewegung" versagten allmählich ihre Dienste. Da bot sich das Lehnwort "Aktivisten" als Ausweg an: Es birgt Aktivität, eine ebenso offensive wie konstruktive Herangehensweise, die möglichst viel Flexibilität und Selbstsicherheit signalisiert. Die Kunst bestand darin, in aussichtsloser Lage nicht zu verzweifeln, grassierende Selbstgenügsamkeit und Zynismus aufzubrechen, sich nicht auf die Rolle der Gutmenschen festschreiben zu lassen, über handwerkliche Fertigkeit und blosse Dienstleistungsangebote hinauszugehen, den Anspruch auf Radikalität mit einer Praxis zu füllen, die neue, wenngleich prekäre Formen von Subjektivität entwickelt. Was Aktivismus so unwiderstehlich macht, ist die Beschleunigungsphase beim Start: Alle Anstrengungen sind auf ein Ziel gerichtet, jede Bewegung summiert sich und mündet in umso schnellerem Fortkommen. Kein Blick zurück, und eben das macht das prinzipiell Verführerische und Mitreissende aus.

The new actonomy, equipped with pies and laptops, consists of thousands of bigger and smaller activities, which are all by themselves meaningful, manageable and sustainable. For this we do not need a General Plan, a singular portal website, or let alone a Party. It is enough to understand the new dynamics--and use them. Create and disseminate your message with all available logics, tools and media. The new actonomy involves a rigorous application of networking methods. It's diversity challenges the development of non-hierarchical, decentralized and deterritorialized applets and applications.

Die Grenzcamps sind sicherlich eines der erfolgreichsten Konzepte, die im Zusammenhang mit "kein mensch ist illegal" entwickelt wurden. Seit Sommer 1998 fanden bislang zwölf solcher Aktionscamps an verschiedenen Grenzen in Europa und Nordamerika statt. Angefangen mit einem Borderline-Rave und Grenzöffnungsaktionen bei Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze und bis hin zum Borderhack-Festival, das im vergangenen August bereits zum zweiten Mal am Strand von Tijuana an der us-mexikanischen Grenze organisiert wurde, sind diese Zeltlager ein aufschlussreiches Beispiel für weltweit verteilten und global vernetzten Aktivismus. Im Sommer 2001 gelang es mit bis zu 2000 Teilnehmern, den Betrieb am Frankfurter Flughafen tagelang im Chaos versinken zu lassen, um gegen das Internierungslager auf dem Airportgelände und die rund 40.000 Abschiebungen pro Jahr zu demonstrieren. Gleich ob beim G-8-Gipfel in Genua oder an der Meerenge von Gibraltar, der polnisch-weissrussischen oder slowenisch-kroatischen Grenze - in den unterschiedlichsten Kontexten, mit den verschiedenartigsten Motivation und aus ständig wechselnden Perspektiven heraus versuchen die Aktivisten, ein postmodernes Grenzregime anzugreifen, das es den Geld-, Waren- und Kapitalströmen immer einfacher macht, nationalstaatlichen Territorien zu durchqueren, sich gegen die weltweiten Flucht-, Migrations- und Wanderungsbewegungen von Menschen aber umso rigoroser abschottet.

Wie in den meisten politischen, sozialen, kulturellen Bereichen haben auch und vor allem an der Grenze Techniken der Vernetzung die bisherigen Formen von Machtausübung abgelöst. Kontrollen finden praktisch überall und bald in Echtzeit statt. Chipkarten, biometrische Systeme, elektronische Halsbänder regeln den Zugang zu proprietären, privilegierten oder sonst wie abgeschotteten Bereichen und gleichen die Bewegungsbilder mit gigantischen Datenbankbeständen ab. Die mit Wärmebild-, Infrarot-, Radar- und Satellitenüberwachung elektronisch aufgerüstete Grenze ist in diesem Zusammenhang einem besonderen Bedeutungswandel unterworfen: An der Grenze geht es heutzutage, statt Ein- oder Ausschluss, um den Abgleich der Nutzerprofile, statt racist um user profiling. Postmodernes Border-Management soll vor allem die Ausfilterung vermeintlich nützlicher von unnützer Arbeitskraft besorgen.

Im Frühjahr 2002 ist vor einem Flüchtlingslager in der australischen Wüste die Fortsetzung der Serie der noborder-Camps vorgesehen, die mit einem geplanten gemeinsamen europäischen Camp in Strasbourg im darauffolgenden Juli einen weiteren vorläufigen Höhepunkt erreichen dürfte. Vor Europa-Parlament, Europäischem Menschenrechtsgerichtshof und der Zentrale des Schengen-Informations-Systems soll die ganze Bandbreite an Aktionen von Aufklärung bis Verunsicherung, Information, Kommunikation und Vernetzung, Pranking, Fakes und Border-Jamming auf europäischer Ebene weiterentwickelt werden.

Invent and connect as much intentions, motivations, causalities as possible. Nowadays activists use multi-layered and multiple voice languages that reach out far beyond the immediate purpose of a campaign or a concrete struggle, and in doing so, they create a vision much larger than what is accessible right at the moment. This mechanism needs a re-assessment of rhizomatic micro-politics which sprung up in a response to the centralized macro politics of the decaying communist parties in the seventies.

Das Feld des Politischen ist in Tausende von Einzelbildern zerfallen, und trotzdem bricht sich ausgerechnet in diesem Durcheinander vernetzter Aktivismus mit neuartigen politischen Artikulations- und Handlungsweisen Bahn. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie äußerst flexibel und mit einer taktischen und strategischen Pluralität operieren, dass sie sich um einen zeitgemäßen Begriff von Solidarität und Selbstbestimmung bemühen, dass sie unmittelbare, lokale Auseinandersetzungen mit dem Globalen zu koppeln oder kurzzuschließen versuchen. Diese Konstruktivität ist eine organisationslose Bewegung der Bewegungen, selbstbestimmtes, vernetztes Denken, das ausdrücklich verschiedene Herangehensweisen und Verknüpfungen vorantreibt, als soziale Auseinandersetzung sich unmittelbar auf die Produktionsebene bezieht und konstitutiv ist für einen kollektiven Aneignungsprozess von Wissen und Macht.

Laws of semiotic guerilla: hit and run, draw and withdraw, code and delete. Postulate precise and modest demands, which allows your foe a step back without losing it's face. Social movements of the last century were opposing the nation state and disclaimed it's power. In the new actonomy activists struggle against corporations and new forms of global sovereignty. The goal is obviously not so much to gain institutional political power, rather to change the way how things are moving--and why. The principle aim is to make power ridiculous, unveil its corrupt nature in the most powerful, beautiful and aggressive symbolic language, then step back in order to make space for changes to set in. Let others do that job, if they wish so. There is no need for a direct dialogue in this phase. Exchanges on mediated levels will do. Complex societies have got plenty mediators and interfaces. Use them. Indirect contact with the power to be does not effect your radical agenda as long as you maintain and upgrade your own dignity, both as an acting individual and as a group.

"Deportation.Class" ist der Titel einer eigenständigen Kampagne, die aus dem Netzwerk von "kein mensch ist illegal" heraus im Sommer 1999 gestartet wurde, als mit dem gewaltsamen Tod des sudanesischen Flüchtlings Aamir Ageeb an Bord eines Lufthansa-Flugs von Frankfurt nach Kairo innerhalb nur weniger Monate sechs Menschen im Zuge von Abschiebungen durch begleitende Polizeibeamte umgebracht wurden. Wer ab und zu fliegt, weiß, dass die Sitzordnung in einem Passagierflugzeug einem ausgeklügelten System grober und feiner Unterschiede gehorcht: Auf den Vordersitzen die Business-Nomaden, die nicht nur genügend Status-Meilen, sondern auch den richtigen Pass vorweisen können. Der Platz dahinter wird mit einer Masse aufgefüllt, die zwar rechtzeitig gebucht haben mag, aber nicht wirklich zum Geld verdienen geeignet scheint. In den letzten Reihen des Flugzeugs jedoch finden sich oft Menschen, die das Ticket gar nicht selbst erworben haben: Menschen, die nicht freiwillig fliegen, sondern gefesselt, geknebelt oder medikamentös ruhig gestellt, an Bord gebracht und abgeschoben werden.

Die besondere Taktik der "Deportation.Class"-Kampagne bestand darin, den wunden Punkt zu finden oder anders gesagt: das schwächste Glied in der Kette. Ins Visier geriet zunächst die Deutsche Lufthansa AG, die mit ihrem weltumspannenden Netz von Linienflügen gewährleistet, jeden Menschen in jedes beliebige Land dieser Erde ausfliegen zu können. Die "Deportation.Class"-Kampagne begann mit einem Ideen-Wettbewerb, um aus einem ganzen Fundus von Slogans und Persiflagen schöpfen zu können, deren grafische Umsetzung entweder schon einmal angedacht war oder einfach auf der Hand lag. Das kollektive Brainstorming vor der öffentlichen Präsentation der Kampagne auf der Internationalen Tourismus-Börse im März 2000 löste einen Boom aus: Online und offline, auf Webseiten und auf Zeitungspapier, in Filmspots und kleinen Animationen wurde die Kampagne in die verschiedensten Richtungen vorangetrieben. Eine "Corporate Identity" war nicht nötig; darum kümmerte sich ja mit einem immensen Aufwand der Lufthansa-Konzern mit hochbezahlten Angestellten und professionellen Ressourcen. Was die Aktivisten zu besorgen hatten, war Kommunikationsguerilla: Unter schonendem Einsatz der Kräfte immer dort auftauchen, wo der Gegner einen gerade nicht vermutet. Dennoch wurde nicht Krieg gespielt, sondern Theater: Mit Aktionen, die eher Performances waren als herkömmliche Demonstrationen, liessen die Aktivisten kaum eine günstige Gelegenheit aus, auf den zwischenzeitlich auch juristisch äußerst fragwürdig gewordenen Transport von Zwangspassagieren per Linienflug hinzuweisen: Vor Reisebüros und an Flugschaltern, vor den konzerneigenen Fortbildungszentren und an Flugschulen, auf Fachmessen und am Lufthansa-Partnertag auf der Expo 2000 tauchten Aktivisten auf, um zumindest für Verwirrung zu sorgen. Am Hamburger Flughafen zum Beispiel tarnten sie sich wiederholt als Mitarbeiter einer Werbeagentur, die angeblich unter Lufthansa-Kunden eine Umfrage startete, inwieweit Passagiere der Business oder Economy Class auch einmal bereit wären, in die Deportation.Class umzusteigen. Die meisten Befragten wollten dies nicht ausschließen: "Wenn's billiger ist, warum nicht?"

Informationsmaterial wurde den schon größere Frustrationen gewohnten Flugblattverteilern förmlich aus den Händen gerissen. Und nicht gerade selten kam es zu überraschendem Feedback in den Lufthansa-Call-Centern, wo die Mitarbeiter wahrscheinlich wohl für längere Dementis umgeschult werden mussten, nachdem in zahlreichen Reisebüros und auf einmal fingiertes Werbematerial für die "Deportation.Class" auflag: "Buchen Sie Lufthansa Deportation Class“, steht in Prospekten, die mittlerwerile in deutsch, englischer und spanischer Sprache kursieren. „Hier bieten wir Ihnen bis zu 30 Prozent Preisnachlass auf alle Flüge, weil ein abgetrennter Bereich der Maschinen für Rückführungen von abgewiesenen Asylbewerbern reserviert ist.“ Versprochen werden „Wartelistenpriorität“ und eine „erhöhte Freigepäckmenge“. Der Deutschen Lufthansa AG blieb nichts anderes, als sich am 11. April 2000 in einer elig einberufenen Pressekonferenz von der "zynischen und menschenverachtenden Machart" zu distanzieren. Der Flugblätter wohlgemerkt, und nicht der Abschiebpraxis. Trotzdem: Es stand Eins zu Null für die Aktivisten von "kein mensch ist illegal" und die Bildzeitung prägte die inzwischen legendäre Schlagzeile: "Arme Lufthansa!"

Die Verantwortlichen des ehemaligen Staatsbetriebs Lufthansa verlegten sich in der Folge hartnäckig darauf, sich taub zu stellen. Allerdings mit wenig Aussichten auf Erfolg: Nach den Gewerkschaften hat sich mittlerweile auch die Pilotenvereinigung Cockpit der Auffassung angeschlossen, dass Fliegen freiwillig ist. Cockpit rät seinen Mitgliedern, die schließlich die alleinigen Inhaber der Bordgewalt sind, niemanden mitzunehmen, der nicht will. Und welche Auswirkungen zielgerichteter Protest und effiziente Taktik haben kann, stellte im Juli 2000 die rumänische Fluggesellschaft TAROM unter Beweis: Das Unternehmen, das jeden Dienstag Massenabschiebungen vom Düsseldorfer Flughafen durchführte, machte nach der zeitgleichen Besetzung aller TAROM-Büros in Deutschland einen prompte Kehrtwende und
cancelte den wöchentlichen Abschiebungs-Charter. Zur Begründung wurde vorgegeben, dass TAROM der angedrohten "Deportation.Class"-Kampagne unbedingt aus dem Weg gehen wolle.

These days a well-designed content virus can easily reach millions overnight. Invest all your time to research how to design a robust meme which can travel through time and space, capable to operate within a variety of cultural contexts. The duality between 'small is beautiful' and 'subversive economies of scale' is constantly shifting. Low-tech money-free projects are charming, but in most cases lack the precision and creative power to strike at society's weakest link. Be ready to work with money. You will need it for the temporary setup.

Schon Wochen vor dem Aktionärstreffen der Deutschen Lufthansa AG waren die Medienberichte Hauptversammlung geprägt von einer angekündigten und bei Kölner Ordnungsamt und Polizei angezeigten Online-Demonstration, die am 15. Juni 2001 um Punkt 10.00 Uhr mit einem symbolischen Mausklick vor der Köln-Arena eröffnet wurde. Gleichzeitig mit den Protesten in der Halle sollte der Webserver der Lufthansa von zehn bis zwölf Uhr vormittags lahm gelegt oder dessen Antwortzeiten zumindest so verlangsamt werden, dass ein bemerkenswerter Effekt entsteht. Es war so etwas wie eine Premiere, wenn auch nicht das erste Mal, dass die Metapher "Online-Demo" für einen elektronische Versammlung verwendet wurde. Es war ein software-gestützter, massenhafter Protest, an dem Menschen aus der ganzen Welt mit einfachen Mausklicks teilnehmen konnten. Es war so etwas ähnliches wie ein Denial-of-Service-Angriff, nur dass Ziele, Motive und Zeitpunkt offen angekündigt, lokal und temporär begrenzt waren. Es ging sicherlich nicht darum, größtmöglichen Schaden anzurichten, sondern um eine symbolische Verdichtung: Die lang ersehnte Synchronität von online und offline; die mediengerechte Dramatisierung eines berechtigten Anliegens, das mit herkömmlichen Methoden natürlich niemals so weit verbreitet und vermittelt hätte werden können; die Erprobung einer ebenso umstrittenen wie vielversprechenden Aktionsform, die Widerstand ebenso virtualisiert wie globalisiert; ein - so paradox das klingen mag - Hybrid aus immaterieller Sabotage und digitaler Demonstration.

Hinterher sprachen beide Seiten von einem Erfolg ihrer Taktik: Die OrganisatorInnen der Online-Demo betonen, dass die Lufthansa-Homepage über den verabredeten Zeitraum von zwei Stunden mehrmals so gut wie nicht erreichbar gewesen sei und weisen dies sogar mit hübschen Diagrammen nach. Lufthansa-Verantwortliche räumen Engpässe ein, sprechen aber ebenfalls von einem Erfolg ihrer Protest-Abwehrstrategie, weil es gelungen sei, zusätzliche Leitungskapazitäten heranzuschaffen. Gleichzeitig wurden offenbar ganze Sub-Netze abgehängt, aus denen die kritischen Daten-Anfragen vermutet wurden. Mit der logischen Konsequenz, dass diejenigen, die von dort aus protestierten, natürlich einen Erfolg erzielen mussten, auch wenn dieser im schlimmsten Fall nur aus ihrer Perspektive wahrnehmbar war.
Auch auf dem symbolischen Feld gibt es zwei Sieger: Die Online-Demo, bei der es explizit und vorrangig um die Herstellung einer möglichst großen Öffentlichkeit für das Anliegen ging, konnte eine enorme, internationale Aufmerksamkeit auf die Proteste gegen die Lufthansa "Deportation.Class" ziehen, welche mit herkömmlichen Methoden ausgeschlossen gewesen wäre: Artikel von Wall Street Journal bis Washington Post, Agenturmeldungen, die um die ganze Welt jagten, große Debatten auf von Fernsehsendern und Printmedien eigens eingerichteten Online-Foren, bald jeder Bericht gleich ob in Magazinen oder Tagespresse, Netz- oder Provinzzeitungen machte die Meldung von der Lufthansa-Aktionärsversammlung mit dem pfiffigen Aufhänger: "Online-Demo" auf. Aber auch die NetzwerktechnikerInnen der Lufthansa können stolz darauf verweisen, dass es ihnen gelungen sei, den Schaden eines in ihren Augen "aggressiven Angriffs" zumindest in Grenzen zu halten. Der Webserver stürzte nicht ab, wie viele virtuelle Demonstranten dies insgeheim erhofften, sondern blieb - wenn auch um den Preis der zeitweiligen und womöglich lokal begrenzten Unerreichbarkeit - einigermaßen unversehrt. Selbst der immense Aufwand, den die Lufthansa-Netzwerktechniker treiben mussten, dürfte sich rechnen: Der Konzern konnte mehr oder weniger unfreiwillig eine gewisse Kompetenz im Umgang mit neuen Herausforderungen demonstrieren.

Think in terms of efficiency. Use the staff and infrastructure on the site of your foe. Acting in the new actonomy means to cut the preliminaries and get to the point straight away. A campaign does not rely on ones own forces, but on those of your allies and opponents as well. Outsourcing is a weapon. It is a means of giving someone else the problems you cannot solve yourself. Remember that you won't get very far without a proper infrastructure such as offices, servers, legal frameworks to receive and pay money, etc. However, you can also treat these institutional requirements as flexible units. You do not need to own them, the only thing you need is temporary access so that you can set up the machine ensemble you need for that
particular project.

Das Schöne am Virtuellen ist, dass beide Seiten nicht nur Recht haben, sondern von einem Erfolg sprechen können, und eine endgültige Abrechnung darüber hinaus keine weitere Bedeutung hat, geschweige denn eine Rolle spielt - eine typische "Win-Win-Situation" also. In den Konzepten des Netzaktivismus geht es aber um mehr. Die eigentliche Herausforderung von virtuellen Widerstandsformen existiert in einer äußerst pragmatischen Dimension: Die Materialität des virtuellen Widerstandes macht die Interaktivität, die Kommunikation also zwischen den untereinander vernetzten AktivistInnen aus, die nicht nur Sender und Empfänger, sondern auf einmal auch TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen zugleich sind. Was aber bedeutet Vernetzung in diesem Zusammenhang? Netzaktivismus, so rudimentär dieses Genre sich im Moment abzeichnet, findet im Wesentlichen auf drei Ebenen statt:

Zum einen geht es um die unmittelbare Vernetzung innerhalb einer Bewegung. Kommunikation wird vom analogen ins digitale Medium übersetzt: Mailinglisten und die Kommunikation darauf, davor und dahinter, sowie statische Webseiten, die als nützliche Handreichung oder Archiv für die Aktivisten selbst konzipiert sind. Diese primäre Form der Vernetzung führt zur Bildung von virtuellen Gemeinschaften, die sich von den Offline-Communities außer in dem Punkt gar nicht mal so sehr unterscheiden, dass die Menschen sich nicht mehr notwendigerweise physikalisch treffen müssen, aber sehr oft hinterher dann genau dies umso öfter, umso lieber, umso bewusster tun. Es führt aber auch dazu, Schritt für Schritt den praktischen Nutzen der neuen Technologien zu erforschen und zu erweitern.

Auf der zweiten Ebene werden dann Schnittstellen zwischen Bewegungen konstruiert. Hierbei geht es darum, Menschen aus unterschiedlichen Zusammenhängen zu vernetzen. Inspirierende und motivierende Umgebungen, in denen neue Formen von Aktivität erforscht und entwickelt werden können: Kampagnen, Meta-Datenbanken, verteilte Aktivitäten, die an den Schnittstellen zwischen Online- und Offline-Welt angesiedelt sind. Insofern es um Interfaces geht, werden auf dieser Ebene erstmals Fragen der Subjektivität und Interaktivität entscheidend: Gegenseitige Hilfestellungen, technischer und inhaltlicher Support statt Arbeitsteilung, Kollaboration, offene Quellen und kollektive Produktivität. Es geht darum, möglichst viele verschiedene Herangehensweisen miteinander so zu verbinden, dass aus dieser Virtualität oder einem schier unendlichen Tätigkeitsvermögen ein viel größerer Nutzen entsteht als wenn die Menschen, Gruppen oder Bewegungen auf sich selbst zurückgeworfen wären.

Die dritte Ebene schließlich besteht aus virtuellen Speichern für unvorhersehbare und unkalkulierbare Bewegungen. Der Anspruch lautet, das Netz als Plattform für rein virtuelle Auseinandersetzungen zu nutzen, die sich nicht länger oder immer weniger auf eine romantische Offline-Wirklichkeit beziehen: E-Protest wie Online-Demonstrationen, elektronischer ziviler Ungehorsam, immaterielle oder digitale Sabotage als Resultat künftiger sozialer Auseinandersetzungen. Ein Oxymoron, das ein enormes Potential birgt.

Act in a definite space and with a definite force. Dramaturgy is all that matters. Precision campaigns consists of distinct episodes with a beginning and an ending, an either smooth or harsh escalation and a final showdown. Accept the laws of appearance and disappearance. Don't get stuck in structures which are on the decline. Be ready to move on, taking with you the (access to) infrastructure of the previous round. Action is taking place in a variety of locations and thus refers in a positive way to a new stage of people's globalization from below. One that is not just an empty, endlessly extended market, but full of energy.

Die große Herausforderung scheint im Moment eine Neubestimmung von Sabotage und zwar nicht im herkömmlichen, destruktiven Sinne, sondern als konstruktive, innovative und kreative Praxis sein. Der pathologische Zug eines traditionellen, protestantischen Militanzverständnisses besteht in einem gerüttelt Maß an Auto-Destruktivität: anderen ein schlechtes Gewissen einreden, das eigene Viertel in Brand setzen, mal wieder richtig radikal sein, ohne dabei nachzudenken oder sich gar vermitteln zu müssen, selbstverliebter Umgang mit dem Fetisch Repression. Sabotage ist das pragmatische Gegenmodell dazu und kommt von Sabot, einem heimlich in die Maschine eingeschleusten Holzschuh, der die Produktion vorübergehend blockiert. Diese Unterbrechung zielt darauf ab, die Effizienz der Maschinen soweit zu verringern, dass der entstehende materielle Schaden konkreten Forderungen oder einem allgemeinen Unwillen über die Ausbeutungsverhältnisse Nachdruck verleiht. Klassische Sabotage, wie sie gegen Ende des 19. Jahrhunderts aufkam, konnte drei Formen annehmen: entweder durch eine Verringerung der Arbeitsleistung die Quantität der Produktion verringern oder die Verkäuflichkeit einer Dienstleistung beeinträchtigen. Außerdem gab es aber immer auch die Option, durch das Einbringen spezifischer Kenntnisse die Qualität der Produktion zu attackieren.

Refuse to be blackmailed. If attacked, make one step aside or ahead. Don't panic. Take all the options into account. No one needs cyberheroes, you are not a lone hacker anymore. The attack maybe be done by a single person but remember we are many. The corporate response may be harder than you expect. It may be better to evade a direct confrontation, but don't trust the media and the mediators. Ignore their advice. In the end you are just another news item for them. If trouble hits the face, scale down, retreat, re-organize, get your network up, dig deep into the far corners of the Net--and then launch the counter campaign.

Wie der reguläre Streik zielt die Sabotage in ihrer klassischen Form unmittelbar auf den Profit des Unternehmens ab, um die Erfüllung bestimmter Forderungen zu erreichen. Immaterielle Sabotage dagegen hat es auf das Image eines Konzerns abgesehen. Im Unterschied zu Boykottkampagnen, die die sozialen Bewegungen der 80er Jahre anzettelten und die die Akteure in einem Konsumenten-Status festhielten, wo ihnen allenfalls die Aufgabe zufiel, mit ihrer Geldbörse abzustimmen, nutzt immaterielle Sabotage Kreativität und Produktivität, Kollaborativität und Kollektivität, die von umherschweifenden, ungreifbaren, untereinander vernetzten AktivistInnen frei gesetzt werden. Ziel ist nicht, möglichst viele Menschen hinter sich zu scharen, sondern eine unmittelbare Veränderung oder Verbesserung der Lage zu erreichen. Hierzu scheint es lukrativ, am schwächsten Glied der Kette, dem Image, der globalen Corporate Identity eines Unternehmens, mit verschiedensten Taktiken und Techniken anzusetzen.

Vor allem dann, wenn Arbeitern das Streikrecht versagt, entzogen oder unbrauchbar gemacht wurde, war Sabotage ein probates, wenngleich illegales Mittel innerbetrieblicher Auseinandersetzungen. Kein schlechter Anknüpfungspunkt in einer Situation, in der bereits absehbar ist, dass das, was die Herren dieser Welt unter Globalisierung verstehen, sich von ein paar Straßenschlachten vor Kongresshallen nicht auf Dauer beeindrucken lassen wird. Zu viele Dinge haben sich in dieser Welt zu schnell geändert, als dass für die überfällige Neubestimmung von politischer Praxis und deren Theoretisierung es nicht ausgesprochen gewinnbringend wäre, Erfahrungen aus anderen historischen Umbruchsituationen zu rekapitulieren, neue Begrifflichkeiten zu entwickeln beziehungsweise alte neu zu füllen, Kämpfe miteinander kommunizieren zu lassen, und zwar gleich, ob sie alt oder neu sind, wo sie physikalisch stattfinden und wie sie enden werden. Wie viele Menschen daran teilnehmen, ist genauso unerheblich wie beim Streik der New Yorker Kellner Ende des vorletzten Jahrhunderts. Allein durch eine freie, indirekte Rede über die Arbeitsbedingungen waren die Gäste so angewidert, dass die Industrie sehr schnell den Forderungen einer schlecht organisierten Belegschaften nachgab. Was als "Open Mouth-Sabotage" in die Geschichte der Arbeiterbewegung einging, hat hundert Jahre später als "McLibel"-Kampagne wahrscheinlich den Grundstock des Netzaktivismus gelegt: Die Website, auf der McDonalds-KritikerInnen weltweit Material zur Entlastung zweier FlugblattverteilerInnen gesammelt haben, die in London wegen übler Nachrede mit langjährigen Gerichtsverfahren eingeschüchtert werden sollten, gehörte Mitte der 90er Jahre zu einer der meist besuchtesten Seiten des noch jungen Internet. Die "Deportation.Class"-Kampagne hat sich einer sicherlich etwas schwierigeren Aufgabe verschrieben, schließlich ist die Sache mit "Denial of Service" durchaus wörtlich zu verstehen: Die Lufthansa AG soll den Transport von Zwangspassagieren verweigern. Dabei wird es bei einfachen Online-Demonstrationen nicht stehen bleiben. Gefragt ist, was in den 80er Jahren "phantasievolle Formen des Widerstands" hieß und damals einem Euphemismus gleichkam. Heute scheinen aber endlich die materiellen Grundlagen für einige fast schon vergessene Verheißungen vorhanden zu sein.

Program and compile subject oriented campaigns! These days a lot of people talk about a global upraising, which is only in the very beginning and definitely not limited to running behind the so called battles of the three acronyms: WTO, WB and IMF. But the urgent question of that movement is: what new types of subjectivity will raise out of the current struggles? Everybody knows, what's to be done, but who knows, what are we fighting for and why? Maybe it doesn't matter anymore: net.activism is of a charming fragility. In the end it means permanently revising and redefining all goals.

Das 20. Jahrhundert war nicht das Jahrhundert der Flüchtlinge, wie so oft behauptet wird, sondern das Jahrhundert der Grenzen. Grenzen etablieren Persönlichkeit, schaffen oder verändern Subjektivität. Der illegale Grenzübertritt nichtet, was vorher war und nun zurückliegt: Aus Professorinnen werden Putzfrauen, aus Menschen mit zahllosen Fähigkeiten und ebenso reichhaltigen Erfahrungen Flüchtlinge und MigrantInnen, die den staatlichen Autoritäten immer nur Geschichten von Flucht, Folter, Verfolgung, Not und Elend erzählen müssen und selbst in der Rhetorik ihrer wohlmeinenden Unterstützerinnen und Unterstützern in dieser Opferrolle gefangen gehalten werden.

Der Slogan „Jeder Mensch ist ein Experte“ setzt rhetorisch an der litotischen Figur „kein mensch ist illegal“ an, wendet aber dessen Schlichtheit, Redundanz und notgedrungenes Understatement politisch und mit der Taktik der Überaffirmation: Nach einem Vierteljahrhundert Anwerbestopp, behaupteter Nullmigration und einem immer brutaleren Regime der EU-Außengrenzen verkündete der deutsche Bundeskanzler Schröder im Februar 2000 auf der Computermesse CEBIT, dass ein akuter Arbeitskräftemangel im IT-Sektor eine Liberalisierung des komplizierten deutschen Ausländerrechtes erfordere. Der Ruf nach „indischen IT-Experten“ machte in nur wenigen Wochen in ganz Europa die Runde, und bald schlossen sich auch andere Branchen den Klagen über institutionalisierte Zuzugsfeindlichkeit an, die bislang nur hinter vorgehaltener Hand kursierten. Politiker und Behörden reagierten durchweg konfus auf die neue Situation: Resultat sind hierzulande etliche Neuverordnungen, die dem Wust der vorhandenen Gesetze wiederum neue Ausnahmeregelungen anfügen, und Wahlkampfstrategien, die von unsäglichen Wortspielereien wie „Kinder statt Inder“ bis „Ausländer, die uns nützen, statt uns ausnützen“ nahtlos an dem xenophoben Konsens anzuknüpfen versuchten, der in den 90er Jahren die westeuropäischen Gesellschaften unter der Parole „Das Boot ist voll!“ zusammenhielt.

„Jeder Mensch ist ein Experte“ mag auf den ersten Blick wie eine taktische Übertreibung klingen, die obendrein auf den Ausspruch von Joseph Beuys von jedem Menschen, der ein Künstler sei, gemünzt ist. Zunächst war ein Datenbankprojekt geplant: Es sollte Menschen, die in Deutschland per Gesetz vom offiziellen Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden, eine Möglichkeit anbieten, sich mit ihren Kenntnissen und Fähigkeiten vorzustellen und auf diesem Wege soziale Achtung zu erringen, welche ihnen Institutionen und informelle Ökonomie systematisch verweigern. Die Idee war, Menschen miteinander in Kontakt zu bringen, die über die unterschiedlichsten, breit gefächerten Kompetenzen verfügen oder nach solchen suchen. Inzwischen stehen die untrennbar miteinander verknüpften Fragen nach Bewegungsfreiheit und informationeller Selbstbestimmung im Vordergrund: Wer die Datenbank „Jeder Mensch ist ein Experte“ nutzen will, soll die Gelegenheit haben, multimediale, digitale Selbstportraits in das System einzugeben, ohne dabei Rücksicht nehmen zu müssen auf Verwertbarkeit, Nützlichkeit, Identität oder Rückführbarkeit. „Jeder Mensch ist ein Experte“ besteht aus freiwilligen und selbstbestimmten Assoziationen, Unschärferelationen, ornamentaler Vielfalt und Multiplikationen in verschiedenen strategischen Kontexten, die allesamt auf die unkalkulierbare Verschiedenheit und Gesamtheit aller produktiven Praktiken verweisen. Geplant ist die Entwicklung verschiedener Schnittstellen, die öffentlich, mobil und überall zugänglich sind. In begleitenden Ausstellungen und Katalogen wird ein Ausschnitt aus dem jeweils angesammelten Bestand aufbereitet, der möglichen Aufschluss über unmittelbare und mittelbare Einsatz- und Nutzungsmöglichkeiten gibt. In Veranstaltungsreihen mit eigens zugezogenen Experten werden außerdem Hintergrund, Rahmenbedingungen und Implikationen des Projektes erörtert.

The revolution will be open source or not! Self determination is something you should really share. As soon as you feel a certain strength on a certain field, you can make your power productive as positive, creative and innovative force. That power opens up new capacities, reducing again and again unexpected and incalculable effects.

Solidarität besteht heutzutage darin, Kämpfe zum Kommunzieren zu bringen. Vernetzung muss auf der Einzigartigkeit und Verschiedenartigkeit aller Praktiken des Widerstands basieren. Die brennenden Fragen der Bewegung der Bewegungen lauten: Wie diese Unterschiedlichkeiten in Beziehung zueinander setzen, ohne homogenisierend zu wirken? Wie nicht trotzdem, sondern gerade deswegen Gemeinsamkeiten hervorbringen, kreativ und konstruktiv werden? Wie gleichzeitig und überall die unterschiedlichen Ausgangslagen, Perspektiven und Motivationen nicht nur respektieren, sondern auch herausfordern?

Zusammenschlüsse wie das [noborder] Netzwerk, in dem sich Aktivisten aus über zwanzig Ländern Europas vernetzt haben, haben mit blossem Informationsaustausch genausowenig zu tun wie mit jeglichem Anspruch auf Repräsentation. Die Kooperation findet statt auf der Basis der enormen Unterschiede, die sich trotz aller Harmonisierungsbestrebungen der EU in der Migrations- und Flüchtlingspolitik der europäischen Länder halten. Um überhaupt noch folgen zu können, müssen Erfahrungen geteilt, Fähigkeiten gespiegelt und Wissen ausgetauscht werden. Wer zusammenarbeitet, merkt schnell, wie fruchtbar es sein kann, vorhandene Kapazitäten und verfügbare Ressourcen zu teilen, um Probleme zu lösen, gemeinsame Aktionen durchzuführen, kollektive Prozesse zu starten, sich mit anderen Netzwerken zu koordinieren und so immer wieder neu zusammenzusetzen.

Ignore history. Don't refer to any of your favorite predecessors. Hide your admiration for authors, artists and familiar styles. You do not need to legitimize yourself by quoting the right theorist or rapper. Be unscrupulously modern (meaning: ignore organized fashion, you are anyway busy with something else). Create and disseminate your message with all available logics, tools and media. The new actonomy involves a rigorous application of networking methods. It's diversity challenges the development of non-hierarchical, decentralized and deterritorialized applets and applications. In the meanwhile leave the preaching of the techno religion to others. Hide your admiration for everything new and cool. Just use it. Take the claim on the future away from corporations. Remember: they are the dinosaurs.

Was ist überhaupt das Neue an der New Actonomy? Schließlich hat heutzutage das, was neu ist, weniger mit gänzlich Unbekanntem oder nie zuvor Gesehenem zu tun, sondern mit der Allgegenwärtigkeit andauernder Veränderung. Aber auch global angelegte Prozesse erschöpfen sich zeitlich wie räumlich. Und wenn das Ende vom Ende (zum Beispiel der Geschichte) erreicht ist, muß alles, was dann passieren kann oder zu tun ist, wieder von vorne anfangen. Ein solcher Neubeginn umfasst aber zum Glück weit mehr als je zuvor. Es ist an der Zeit zu scrollen: Nach vorne und nach hinten zu schauen, zur Seite zu treten und vorwärts zu denken.

Read as many business literature as possible and don't be afraid it may effect you. It will. Having enough ethics in your guts you can deal with that bit of ideology. Remember that activism and entrepreneurial spirit have a remarkably lot in common. So what? Benefit from your unlimited capacity of metamorphosis. With the right spirit you can survive any appropriation. Free yourself from the idea that enemy concepts are compromising the struggle. You don't have to convince yourself, nor your foe. The challenge is to involve those, who are not yet joining the struggle. The challenge is to use resources, which may not belong to you, but which are virtually yours.

Grenzen sind da, überschritten zu werden. Ihre Bedeutung tritt erst dann zu Tage, wenn sie verletzt werden. Gegen welche Formen von Übertretung Staaten Vorkehrungen treffen, gibt einigen Aufschluß über die Verfaßtheit einer Gesellschaft. Der Kampf gegen Grenzen ist ein Kampf gegen Infrarotkameras, Plastikfesseln und Schleierfahndung, gegen Borniertheit, Ressentiment und Rassismus. Mehr denn je handelt es sich auch um einen Kampf um die längst überfällige Neubestimmung von Öffentlichkeit als gemeinsam genutzter Raum und gemeinsam gestaltete Zeit. In dem Maße, wie die so genannte Globalisierung sich darin erschöpft, immer neue Grenzen und Differenzierungen zwischen den Menschen herzustellen, um grenzenlose Profite zu realisieren, offenbart sich die Korruptheit des weltweiten kapitalistischen Regimes. Der Kampf gegen Grenzen wird so zur wirklich konstruktiven Auseinandersetzung um das Prinzip von offenen Quellen und freiem, gleichem und globalem Zugang: Zugang zu dem Recht, überhaupt Rechte zu haben. Zugang zu überlebensnotwendigen, materiellen Gütern und immateriellen Ressourcen, die die Basis für Kreativität und schöpferische Arbeit darstellen. Zugang zu den kommunikativen Netzwerken, in denen Wissen zirkuliert. Alles weitere steht in den Sternen und das ist auch gut so: Nichts kann schließlich Auskunft darüber geben, wie und wo die Menschen sich finden werden, sobald sie selbst darüber bestimmen.

(*) Der Text basiert auf dem auf der Plattform in Wien gehaltenem Vortrag als Version 1.0. Diese Fassung wurde im Gefolge auf verschiedenen Ebenen und zusammen mit verschiedenen Menschen innerhalb und außerhalb der Kampagne "kein mensch ist illegal" diskutiert, fortgeschrieben, weiterentwickelt und immer wieder neu zusammengesetzt. Die kursiv gesetzten Teile sind zusammen mit Geert Lovink als Version 2.0 verfasst worden. Weitere Versionen folgen und werden unter der Open Content Lizenz veröffentlicht:
http://new.actonomy.org

Postscript First

This is a debugging block

Postscript Second

This is a debugging block

Postscript Third

This is a debugging block

Postscript Fourth

This is a debugging block