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Tatbestand Menschenschmuggel

Florian Schneider

Es war wie immer, wenn er sich für einige Tage aus der hessischen Kleinstadt verabschiedete, um eine Kurierfahrt zu unternehmen. Kurz vor Mitternacht stieg Kurt Braun die Stufen der grauen Linoleumtreppe hinauf bis in die kleine Dachwohnung, in der seit fast dreißig Jahren seine Mutter lebt. Er übergab seinen acht Monate alten Schäferhund, den er erst vor kurzem bei einem Züchter aus der Gegend gekauft hatte, in die Obhut seiner Mutter. Am übernächsten Tag schon wollte er zurück sein, um seinen fünfzigsten Geburtstag zu feiern.
Seinen Hund sollte Braun nie wieder abholen und mit seiner Mutter hat er seitdem nur noch am Telefon gesprochen. Wenn sie sich damals auf den kleinen Schemel gestellt hätte und zum Fenster hinaus gesehen hätte, wie sie es tagsüber gerne macht, um das Treiben auf der Gasse zu beobachten, dann hätte die Mutter eigentlich stutzig werden müssen. Statt einem der Lieferwagen, mit denen er sonst unterwegs war, bestieg ihr Sohn mitten im November ein Wohnmobil.

Am späten Nachmittag schon war Braun zusammen mit einem Arbeitskollegen nach Kelsterbach gefahren, einer der gesichtlosen Gewerbeansiedlungen im Schatten des Frankfurter Flughafens. Bei einer Autovermietung am Ortsrand nahmen die beiden einen vorbestellten Caravan in Empfang. Kurt Braun wartete mit seinem Hund im Hof, der Kollege unterzeichnete den Mietvertrag. Der Preis war günstig und für den Rabatt nicht einmal ein ADAC-Mitgliedsausweis notwendig, denn die Urlaubsaison war längst vorbei. Heute ärgert sich Braun darüber, daß er nicht selbst hoch ins Büro ist und den Vertrag unterschrieben hat. "Schließlich war das ganze meine Idee." Doch der Kollege, ein Frührentner, der sich manchmal in Brauns Unternehmen etwas dazu verdiente, wollte wohl unbedingt auch ein Stück Verantwortung übernehmen.

Bis nach Saarbrücken sind es auf der Autobahn etwas mehr als zwei Stunden und von dort ist Oberrosseln noch einmal gut zehn Kilometer entfernt. Die Polizeiwache in dem kleinen Grenzort zu Frankreich ist seit dem Abbau der Grenzkontrollen nur noch tagsüber besetzt. An der Tür klebt ein Zettel, auf dem steht, wohin man sich nachts bei Notfällen wenden kann. Kurt Braun hatte einen besonders dringenden Notfall, der bereits auf dem dunklen Parkplatz hinter der Polizeistation wartete: Sechs Kinder und drei Erwachsene. Die Familie kam aus dem Kosovo und hatte sich der drohenden Abschiebung aus Deutschland entzogen, indem sie bei Bekannten untergetaucht war.

Braun sollte sie nun nach England bringen. Denn im Gegensatz zu den deutschen schoben die britischen Behörden schon zu diesem Zeitpunkt keine Flüchtlinge mehr in die jugoslawische Bürgerkriegsprovinz ab. Wem die Weiterflucht von Deutschland auf die Insel gelang, war wieder in Sicherheit. Kurt Braun hatte einen Freund, der nach erfolglosem Ausgang seines Asylverfahrens in Deutschland heute unbehelligt mit Frau und vier Kindern in einem Reihenhäuschen in einem Vorort von London lebt. Er hat eine Arbeitserlaubnis und schuftet zwölf Stunden am Tag für einen Hungerlohn, aber immer noch besser als zurückgeschoben zu werden in den Bürgerkriegsterror.

Es muß so etwas wie ein menschlicher Instinkt gewesen sein, der Kurt Braun dazu bewogen hat, der Familie behilflich zu sein, ohne dabei viel an sich selbst zu denken. Schließlich ist er alles andere als ein Märtyrer und hatte einiges zu verlieren. Von Beruf Kellermeister und spezialisiert auf Süßmosterei arbeitete Braun bei verschiedenen Fruchtsaftunternehmen, bis er vor vier Jahren arbeitslos wurde. Für seine Branche bereits zu alt wagte er, sich selbständig zu machen, und gründete, weil er schon seit langem ein Faible für Entrümpelungen hatte, mit seiner Tochter ein kleines Fuhrgeschäft. Er arbeitete als Subunternehmer für große Speditionsfirmen und stellte meist über Nacht eilige Kleinsendungen zu. Von der florierenden Firma mit einer Flotte von drei Transportern ist heute nicht viel mehr übrig als ein Handy, ein Haufen Schulden und unerledigter Papierkram.

Geld kann es jedenfalls nicht gewesen sein, was ihn dazu brachte, der Familie zur Weiterflucht zu verhelfen. Seine Unkosten konnte Kurt ungefähr veranschlagen: Die Leihgebühr für den Mietwagen, das Benzingeld, das Ticket für den Eurotunnel, eine Übernachtung in London und alles retour. Insgesamt kam er auf rund 4400 Mark und soviel sollte ihm die Familie auch zurückerstatten. Daran, daß etwas schiefgehen könnte, dachte Kurt nicht. Und erst recht nicht daran, was ihn in diesem Falle erwarten würde.

Trotzdem war er nervös, als es endlich losging. Heute glaubt er sogar, sich erinnern zu können, eigentlich ein schlechtes Gefühl bei der ganzen Sache gehabt zu haben: Würde die Grenzer ein Wohnmobil außerhalb der Urlaubszeit, mitten im November nicht stutzig machen? "Aber wo hätte ich sonst so viele Menschen unterbringen sollen?", meint er, wie wenn er sich für einen kleinen, aber vielleicht entscheidenden Fehler zu entschuldigen hätte.

Die Familie stieg schnell hinten ein. Die Kinder sprachen alle fließend deutsch und schliefen auf der Fahrt bald ein. Von Saarbücken ging es durch die Eifel, an Aachen und Lüttich vorbei, durch ganz Belgien, bis nach Lille und dann Calais. Ein kleiner Umweg, doch Kurt kannte die Strecke in- und auswendig. Die Autobahn war nachts frei, und die beiden Fahrer wechselten sich am Steuer ab. Dreimal machten sie Halt, damit die Kinder auf die Toillette konnten. Zweimal überquerten sie Grenzen, von denen aber für die Reisenden kaum mehr zu bemerken war, als daß die Farbe der Straßenmarkierung und die Art der Beleuchtung wechselte. Hügelige, menschenleere Gegend in Deutschland, breite hellerleuchtete Autobahnen in Belgien, beginnender Berufsverkehr bei Sonnenaufgang in Frankreich.

Gegen acht Uhr morgens erreichten sie den Eurotunnel bei Calais. An der ersten Sperre ist nur die Gebühr von rund 700 Mark zu entrichten, fünfzig Meter dahinter befinden sich die französische und die englische Grenzkontrolle. Dazwischen der Duty-Free-Shop und eine monumentale Skulptur, die die ungemeine Anstrengung, England mit dem Festland zu verbinden, versinnbildlichen soll. Um die Abfertigung zu vereinfachen, haben sich die beiden Länder gegenseitig ein Stück Territorium abgetreten. Die französischen Grenzer winken die meisten Wagen durch. Großbritannien, das nach wie vor die Schengener Verträge nicht unterzeichnet hat, besteht auf eine eigenständige Einreisepolitik. Normalerweise werfen die Grenzer einen Blick in die Pässe, tippen Daten in den Fahndungscomputer, fragen vielleicht noch nach dem Zweck und der Dauer der Reise, und dann geht es weiter auf die Verladerampe für den Tunnelzug, der alle halbe Stunde den Terminal verläßt.

Die letzten Meter vor der englischen Grenze kamen den beiden Fahrern wie eine Ewigkeit vor. Bis jetzt war alles mehr oder weniger Formsache: Eilige Fracht und ein paar Stunden Nachtfahrt - für einen Kurierfahrer nichts ungewöhnliches. Es war anstrengend, aber verglichen mit dem, was die Familie in ihrer Heimat erwarten würde, aber eigentlich keine Ursache. Gefahr lauerte allenfalls auf den Raststätten, wo die Insassen im Fond des Wagens Zivilstreifen oder den Bediensteten verdächtig hätten erscheinen können. Kurz vor der Grenze hatten die beiden noch einmal das Steuer gewechselt, und Braun hatte auf dem Beifahrersitz Platz genommen.

Dann waren sie endlich auf britischem Territorium, und die Familie eigentlich in Sicherheit. Die beiden reichten ihre deutschen Pässe aus dem Fenster,.da passierte das Unerklärliche oder im Nachhinein nur allzu erklärliche: Zufall, Pech oder was auch immer. Wahrscheinlich war es bloß Nervosität, oder das riesige Fahrzeug, das der Kollege nicht zu rangieren gewohnt war. Jedenfalls touchierte der Caravan mit seinem großem Außenspiegel das Abfertigungshäuschen aus Wellblech. Die Grenzer wurden aufmerksam und verlangten einen Blick ins Wageninnere. Kurt Braun hatte vorgesorgt: Die sechs Kinder waren auf dem Bett über der Fahrerkabine unter einem Haufen Bettwäsche versteckt. Die drei Erwachsenen verbargen sich unter Bänken an der Seitenverkleidung. Erst kam eine Polizistin, die nichts bemerkte. Als sie schon kehrt machte, trat plötzlich ein weiterer Beamter in Wagenfond und schob mit einer Routinegeste die Bettdecken zur Seite. Er entdeckte die Kinder.

Kurt Braun sitzt seit über einem Jahr nun in englischen Gefängnissen. Seinen fünfzigsten Geburtstag verbrachte er in der Polizeistation Folkstone, auf der anderen Seite des Tunnels. Am 27. Dezember wurde er dann einem Schnellgericht vorgeführt. Der Vorwurf: Menschenschmuggel. Braun, der kaum Englisch sprach und keine Ahnung vom englischen Rechtssystem hatte, bekannte sich vor dem Gesetz schuldig und übernahm instinktiv die volle Verantwortung für sein Handeln. Was das für Folgen haben könnte, bildete er sich im Traum nicht ein, und mit seinem Pflichtverteidiger konnte er sich auch kaum verständigen. Drei Tage nach seiner Verhaftung wurde Kurt Braun nach Canterbury verlegt, wo er die nächsten zwölf Monate verbringen sollte.

Abseits der Touristenströme, die in den mittelalterlichen Stadtkern einfallen, und hinter schmucken Reihenhäusern aus Backstein befindet sich die Haftantstalt. Kurt Braun arbeitet hier jeden Tag und für einen Wochenlohn von weniger als vierzig Mark in der Gefängnisküche und schlachtet Fleisch für seine Mitgefangenen. Wer in Canterbury einsitzt, ist meistens ebenfalls wegen Grenzdelikten angeklagt. Ein Vietnamese zum Beispiel, seit 1979 in Deutschland und mittlerweile deutscher Staatbürger, Vater von vier Kindern. Er wurde nach eigenen Angaben von einem Bekannten, dem er tausend Mark schuldete, überredet, zur Tilgung des Kredits einen Chinesen von Rotterdam nach England zu bringen. Als er am Treffpunkt ankam, wollten aber auf einmal drei Menschen mit ihm mit. Sie wurden ebenso an der Grenze erwischt wie ein in Deutschland lebender Nigerianer, der mit einer Engländerin verheiratet ist und mit deren Paß eine hochschwangere Freundin in Sicherheit zu bringen versuchte, die von Deutschland in die Militärdiktatur abgeschoben werden sollte. Obwohl sogar der Staatsanwalt die offenkundig rein humanitären Motive einräumte, bekam er 15 Monate Knast.

An Kurt Braun aber statuierte die britische Justiz ein Exempel: Er wurde, wie sein Kollege, zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Höchststrafe beträgt in Großbritannien sieben Jahre und Braun kann heute noch keine Erklärung für dieses außergewöhnlich hohe Strafmaß finden. In Deutschland, wo die "Beihilfe zur illegalen Einreise" seit neuem sogar bis zu zehn Jahren Gefängnis einbringen kann, wäre ihm vermutlich weinigstens sein bisher unbescholtenes Strafregister angerechnet worden, der englische Richter wollte davon jedoch nichts wissen. Immerhin wurde nach knapp einem Jahr das Strafmaß in einer Berufungsverhandlung auf drei Jahre reduziert. Und immerhin scheint wenigstens die Familie in Sicherheit, und sich - Verwandten zufolge - "irgendwo" aufzuhalten, "aber sicher nicht in den Kosovo abgeschoben zu sein".

Vielleicht ein kleiner Trost für Kurt Braun, doch es kann ihm nicht darüberhinweghelfen, daß sein Leben wegen ein paar Stunden, in denen er Zivilcourage zeigte, ruiniert ist. Rückblickend mag seine Handlungsweise naiv erscheinen, doch genausogut könnte der kräftige Zwei-Meter-Mann einen zeitgenössischen Helden verkörpern. Erschöpft und aufgeregt zugleich, nach über einem Jahr Haft mit den üblichen Konzentrationschwierigkeiten nimmt er am Tag vor Weihnachten auf dem Stuhl im Besucherraum des Gefängnisses Platz und erzählt von den Truthahnbeinen, die er für den Festschmaus im Knast auslösen mußte, seinem Tennisellbogen und der schlechten medizinischen Versorgung, davon, daß er bald verlegt wird, und von den vielen anderen Gefangenen, die ohne jede Unterstützung von außen für Dinge einsitzen, an deren Verwerflichkeit sie nie im Leben gedacht hätten.

Hüben wie drüben wird ein Beihilfetatbestand, der bis vor kurzem noch eine Lappalie war oder - wenn er ins politische Konzept paßte - zu höchsten Ehren gereichte, zum Kapitalvergehen uminterpretiert: Während die Grenzbefestigungen innerhalb Europas fallen, werden Menschen, die das Versprechen der Reisefreiheit beim Wort nehmen, zu Strafen verurteilt, mit denen sonst eigentlich nur Gewaltverbrechen geahndet werden.

Die Familie, die illegal nach Großbritannien einreiste und dadurch zwar gegen geltendes Gesetz verstieß, habe doch keinerlei Schaden angerichtet, geschweige denn irgendjemandem ein Haar gekrümmt, sagt Kurt Brauns Mutter und deutet auf eine Stelle in dem Brief, den sie an den britischen Premierminister schrieb: "Schließlich hat mein Sohn keine verseuchten Tiere oder sonstiges in ihr Land gebracht, sondern Menschen, die im Kosovo gefährdet sind, zu ihren Verwandten gebracht."

Tony Blair hat hierzu natürlich nicht Stellung genommen, stattdessen aber schrieb ihr am 26.11.1998 der Generalbundesanwalt aus Karlsruhe. Ihr Sohn sei mit seiner im Ausland begangenen Straftat von nun an in das Bundeszentralregister eingetragen worden: "TATBESTAND: Menschenschmuggel". Früher, da hieß das Fluchthilfe und manch einer bekam dafür das Bundesverdienstkreuz umgehängt oder es wurde eine Straße nach ihm benannt.

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