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Boudu - eine Kritik der politischen Ökonomie des Mitleids

Florian Schneider

"Boudu sauvé des eaux" gilt nicht unbedingt als Meisterwerk von Jean Renoir. Dass der Film von Frieda Grafe zu einem ihrer 30 "Lieblingsfilme" nominiert wird, dürfte einer gerissenen Logik folgen, die weit über das übliche Maß an Ironie hinausreicht.

Gedreht im Sommer 1932, noch vor "Madame Bovary" und bald nach "La Chienne", dazwischen nur "La Nuit du carrefour" und "Chotard et Cie", handelt es sich bei "Boudu" um die Adaption einer Komödie von René Fauchois, die schon seit Jahren recht erfolgreich im Pariser Boulevardtheater lief.

Hauptdarsteller Michel Simon, dem die Idee zu dem Film am Ende der Dreharbeiten zu "La Chienne" kam und dem zum Dank dafür die Rolle des Landstreichers buchstäblich auf den Leib geschrieben wurde, war gleichzeitig der Produzent des Films und somit verantwortlich dafür, dass die Finanzierung des Projektes überhaupt keinerlei Probleme bereitete, ja sogar alle Erwartungen übertraf. Renoirs Traum war es schließlich, zwei Filme pro Jahr zu drehen, und ausgerechnet mitten in der großen Depression der frühen 1930er Jahre schien ihm das auch tatsächlich zu gelingen.

"Boudu" wird gemeinhin als frühe Vorwegnahme der Hippie-Bewegung begriffen. Renoir hat alles dafür getan, diese Lesart weiter zu unterfüttern. Er übernimmt von der Theatervorlage eigentlich nur die ersten beiden Akte, und kehrt die Geschichte in ihr Gegenteil um: So wird aus der rührseligen Erziehungskomödie von Fauchois ein Lob der Unangepaßtheit, der Unzähmbarkeit und des Umherschweifens, eine anarchische Parade des Unmittelbaren und Unvorhersehbaren oder der skandalöse Triumphzug von Chaos und Verwüstung, sobald es zu einer vermeintlich direkten Konfrontation mit der bestehenden Ordnung kommt.

Heute wissen wir natürlich mehr und vor allem, dass die naive Rebellion gegen bildungsbürgerliche Konventionen mehr oder weniger zwangsläufig im Zirkelschluss der Re-Affirmation eben jener als zivilisatorisch verbrämten Übereinkünfte mündet. Die post-romantische Rückbesinnung auf ehemals verfemte Werte kommt bekanntermaßen umso moralinsaurer daher, je überfälliger deren Renovierung ist und je weniger demzufolge das Erbe eines wie auch immer gearteten "Humanismus" auszuschlagen wäre.

Was ist also von "Boudu" aus heutiger Sicht zu halten? Viel mehr noch als eine pittoreske Referenz an die Originalschauplätze des Paris der 20er und 30er Jahre, viel mehr noch als eine Hommage an die unbändige Schauspielkunst von Michel Simon, ist Jean Renoir mit "Boudu sauvé des eaux" ein nicht unerheblicher Beitrag zu einer Kritik der politischen Ökonomie des Mitleids gelungen.

Wie immer geht es bei Renoir weniger darum, was er gemacht, sondern wie er es gemacht hat. Und so wie Renoir in seinen Filmen zuvor den Theaterbetrieb zur Schau gestellt hat, untersucht er nun eine neue Ökonomie des Mitleids als möglicher Triebfeder des Tonfilms. Das kann auch nur zu einem Zeitpunkt gelingen, an dem die neue Ordnung der Bilder sich noch nicht als alternativlos herausgestellt hat, sondern ihre eigene Gebrochenheit noch offenbart.

Boudu stürzt die Zuschauer in ein spiralförmig angeordnetes Wechselspiel von Antipathie und Sympathie, das zu einer systematischen De-identifikation mit den Figuren führt. Resultat ist eine quasi-dokumentarische Sicht auf den Terror der Inklusion: Großaufnahmen mit langen Brennweiten aus freier Wildbahn, geschickt gekontert mit weitwinkligen und weichgezeichneten Einstellungen im Decors der bürgerlichen Häuslichkeit. Beide sind konsequent gepaart mit einem Originalton, der erbarmungslos hart auf Bild geschnitten ist.

Die Montage befördert keinerlei Einfühlung in die Figuren, erzeugt vielmehr Distanz und Befremden, weil auch die Kamera ständig wechselnde Standpunkte einnimmt. Was passiert, ereignet sich innerhalb einer Kadrierung, in der sich die Ereignisse überlagern, ohne dass sich der ursprüngliche Fokus verändert. Milieu und Handlung überlagern sich in einem Maße, das die Perspektive ausser Kraft setzt. Diese Kündigung einer "vorweggenommenen Übereinkunft zwischen Künstler und Betrachter", die Frieda Grafe bei Renoir feststellt, löst ein gewisses Unbehagen im Publikum aus, verlangt es von diesem doch, ständig nach einer anderen Position zu suchen.

Die Kunstlosigkeit einer nicht nur vor dem Hintergrund heutiger Sehgewohnheiten "primitiven" Montage steht in delikatem Widerspruch zur eigentlichen Handlung, in der das Andere mit Großherzigkeit ins Visier genommen wird. Es möge teilhaben an dem Projekt, ein Ich zu werden, das sich selbst gefällt; es soll an den Errungenschaften der bürgerlichen Zivilisation partizipieren, indem es seine Instinkte kultiviert. Und dazu wird es weder gezwungen noch überzeugt, vielmehr überredet.

Diese spezielle Form der Überredungskunst zeichnet nicht nur die Filmhandlung, sondern in erweitertem Sinn auch die neuen Möglichkeiten des Tonfilms aus. Renoir verweigert sich diesem partielle Identifikation stiftenden Maßnahmenkatalog, der eine neue Form von Kontinuität über die Synchronspur hervorzubringen verspricht. So gesehen sind es entlaufene Bilder, die sich aus der scheinbaren Konsistenz von filmischem Raum und der vermeintlichen Kohärenz filmischer Zeit davon machen wie Renoirs Hund namens "Jerry", der ja angeblich auch das Vorbild für die Figur des Boudu war.

So beginnt auch der Film: Nach einer belanglosen Auseinandersetzung um ein Stück Wurst ist einem Landstreicher sein schwarzer, zotteliger Hund abhanden gekommen. Auf die Hilfe der Behörden kann er ebenso wenig zählen wie auf die der übrigen Spaziergänger, die sich ängstlich aus dem Staub machen, sobald der verwahrloste Boudu auf sie zutritt.

Ganz im Gegensatz zu einer gut gekleideten Dame, die einen braunen Pekinesen vermisst und den patroullierenden Polizisten sofort über dessen Wert von 10.000 Francs in Kenntnis setzt, woraufhin dieser selbstverständlich eine großangelegte Fahndung veranlasst. Dem verzweifelten Boudu bleibt dagegen nur die routinierte Mildtätigkeit einer jungen Mutter, die ihr Kind dazu bringt, dem Obdachlosen 5 Francs zuzustecken. Ihre Begründung lautet, man müsse immer denjenigen helfen, die im Leben weniger Glück hätten.

Renoir stellt also zu Beginn und in ziemlich groben Zügen die zwei Grundformen des Mitleids vor: Einerseits als Gegenstand einer nüchternen Berechnung des Marktwerts, andererseits als willkürlich vergebene Mildtätigkeit, deren Zweck ist, das eigene Wohl zu vermehren. Weil beide, marktwirtschaftliches Kalkül und selbstgefällige Nächstenliebe, auf dem Tauschwert basieren, können sie auf dieser Grundlage auch friedlich koexistieren.

Danach wird es komplizierter: Boudu stellt das Tauschgesetz vom Kopf auf die Füße, wenn er den reichen Automobilisten brüskiert, dem er dienstfertig die Wagentür geöffnet hat. Um ein Trinkgeld verlegen muss dieser hinnehmen, wie der Landstreicher ihm statt auf eine Entlohnung zu warten, die 5 Francs mit denselben Worten in die Hand drückt, mit denen er den Geldschein eben von dem Kind geschenkt bekommen hatte: "Kauf dir etwas Brot davon!"

Als dann der Buchhändler Lestingois einem jungen Studenten die verhältnismäßig teure Ausgabe von Voltaires "Amabeds Briefe" einfach so zusteckt, kann er auf die Frage, wieso er das mache, wo er ihn doch gar nicht kenne, nur schmunzeln. Da weiss der stolze Bürger, dass er sich mit der Großzügigkeit seinesgleichen gegenüber doch nur selbst beschenkt und legt gleich noch ein Buch drauf.

"L'ethnologie du blanc" hiess das etwa zeitgleiche Unterfangen des Literaten und Kunsttheoretikers Carl Einstein, der frühzeitig vor dem Faschismus aus Berlin nach Paris geflohen war und dort mit Georges Bataille das illustrierte Zeitschriftenprojekt "Documents" gründete. Gut ein Jahr nach dem Start von Boudu reist Jean Renoir zusammen mit Einstein nach Südfrankreich, um dort das Drehbuch für "Toni", den eigentlichen Lieblingsfilm der Regisseure der "Nouvelle Vague", zu schreiben.

Frieda Grafe hat sich intensiv mit dem Werk von Carl Einstein beschäftigt. Ausgangspunkt war das unerklärliche Fehlen von Einsteins Namen im Vorspann von "Toni", und das systematische Verschweigen seiner Rolle als Drehbuchautor, Dialogschreiber, Ideengeber und anfänglich sogar Ko-Produzent. Aus den Recherchen von Frieda Grafe geht nämlich hervor, dass Einstein und Renoir zusammen mit Pierre Braunberger und dem Industriellen Pierre Gaut, der nicht nur Farben herstellte, sondern auch Kunst sammelte, eine Produktionsfirma gründeten. Diese trug den programmatischen Titel: "Les Films d'Aujourd'hui".

Vor diesem Hintergrund kann "Boudu sauvé des eaux" nicht nur, wie Grafe anmerkt, als gelungene Mischung des Naturalismus Stroheims mit Chaplins Burleske, sondern auch als ein erstes Experiment in Sachen eines ethnologischen Films ganz im Sinne Einsteins gelten, in dem der Blick statt auf ferne Länder auf die eigene Umgebung gerichtet wird.

Der Buchhändler Lestingois sieht Boudu mit dem Fernglas, wie er am Uferkai der Seine entlang torkelt. Er erkennt im Landstreicher sofort das außerordentlich prächtige Exemplar einer Gattung, von der es in Paris wegen Wirtschaftskrise und grassierender Obdachlosigkeit derzeit wohl Zehntausende gibt. Er verfolgt ihn und beobachtet, wie Boudu über die Brüstung des Pont des Arts, der Brücke am Louvre, klettert, offenbar um seinem Leben ein Ende zu setzen.

Plötzlich überkommt Lestingois eine Regung, die ihn dazu bringt, den Beobachterposten zu verlassen und zu intervenieren. Hinterher stellt er seinen ungewöhnlichen Einsatz in souverän gespielter Bescheidenheit als eine Art Selbstverständlichkeit dar, die eigentlich gar nicht der Rede wert sei. Nur langsam schwant ihm, dass seine Heldentat eine Kette von Missverständnissen ausgelöst und eine Konstellation hervorgebracht hat, die er nicht mehr rückgängig machen kann, ohne sein Gesicht zu verlieren.

Boudu lässt sich von Lestingois zwar zum Bleiben überreden, nicht aber dazu, den Gepflogenheiten eines bürgerlichen Haushalts Folge zu leisten, der auf einem Begriff von Bildung basiert, die den Respekt vor der Warenform ebenso wie die heuchlerische Sublimierung nicht zu leugnender Bedürfnisse voraussetzt.

Das Mitleid, dem üblicherweise ja eher der Verdacht anhängt, nur vorübergehend oder "episodisch" zu sein, führt nicht zur zu erwartenden kathartischen Reinigung. Es beginnt sich genau dann zu verselbständigen, wenn der Bemitleidete das Spiel nicht als Spiel begreifen kann oder will.

Ab einem gewissen Zeitpunkt ist die Eskalation unaufhaltsam. Es spielt einerseits keine Rolle mehr, ob das Mitleid nur gespielt ist, andererseits weiss auch niemand mehr, ob der andere das Spiel nicht längst durchschaut hat und nur eine Rolle spielt.

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